Heidelberger Geschichtsverein e.V. HGV

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Die Harmonie-Gesellschaft

Mit dem Beginn der 30er Jahre war eine neue Zeit herangebrochen, in der freisinnige Gesetze den Bürger zu größerer Mitwirkung bei den Angelegenheiten des Staates und der Gemeinde beriefen, als es vorher der Fall war. Überall regte sich ein neuer Geist, jeder Tag brachte Kunde wichtiger Ereignisse. Das Bedürfniß, sich durch Lesen von Zeitungen davon zu unterrichten und sich gemeinsam darüber aussprechen zu können, machte sich namentlich auch in bürgerlichen Kreisen in Heidelberg geltend. Deshalb gründete am 19. April 1832 eine Anzahl hiesiger Bürger eine geschlossene Gesellschaft „das bürgerliche Casino“, die durch Einrichtung von Lese- und Gesellschaftszimmern im Gasthaus zum Prinz Max, jenem oben angeführten Bedürfnis entgegenkam, und auch dem geselligen Vergnügen, durch musikalische Unterhaltungen und durch Bälle, Rechnung trug.“ (C. A. 1867)

Am 19. April 1832 gründeten Heidelberger Bürger die Gesellschaft "bürgerliches Casino", eine geschlossene Gesellschaft von Bürgern, hauptsächlich Kaufleuten, Handwerkern, Beamten, die im Gasthof zum Prinzen Max (Marstallstraße) zunächst Lese- und Gesellschaftszimmer einrichteten. Am 19. Juli 1832 wurde das "bürgerliche Casino" in "Harmonie-Gesellschaft" umbenannt. 1832 wurde im Prinz Max ein Tanzsaal angebaut, der im Januar 1833 eingeweiht wurde. Lange bevor es ein festes Theater in Heidelberg gab, wurden hier "dramatische Abendunterhaltungen" veranstaltet. Zwischen 1837 und 1853 spielte man im Gasthof zum Riesenstein, im Prinz Max und eben in der Harmonie unter Schauspieldirektor Johann A. Clef Theater.

Im Jahr 1839 wurde die Harmonie-Gesellschaft „neu gegründet“. Es gilt daher als eigentliches Geburtsjahr der Harmonie. 1. Vorsteher war Hofgerichtsadvokat Kräuter. Im Dezember 1839 bezog man das ehemalige Graimbergsche Haus (westliche Hauptstraße Nr. 101; heute Hauptstraße 110). 1839 ist auch das Gründungsjahr des Heidelberger Liederkranz (u.a. durch Buchhändler Christian Friedrich Winter und Antiquar Salomon Wolff) („und wählte seine Heimath gleich in der Harmonie“).

Am 15. Juni 1840 kaufte man das Dr. Rettigsche Haus (ehemaliger Wormser Bischofshof, „Englisches Haus“) in der Hauptstraße 110, denn „unter den gesellschaftlichen Bedürfnissen nahmen die Bälle, damals wie jetzt, den ersten Platz ein“. Um den neuen Bedürfnissen zu genügen, baute man das Haus um. „Bei dieser Gelegenheit scheint das Renaissance-Hofportal in die Mitte des Gebäudes als Hauptportal versetzt worden zu sein.“ (Oechelhäuser 1913, S. 297). Am 30. Oktober 1842 wurde der neuerbaute große Saal im Wormser Hof mit Festball und Festessen eingeweiht. „Der Wunsch, Harmonie-Mitglied zu werden, trat immer lebhafter zu Tag, so daß das Jahr 1843 schon 326 ordentliche Mitglieder aufweisen konnte“.

1843 wurde eine Musik- und Gesangsschule, zunächst nur für Kinder von Harmonie-Mitgliedern, gegründet, die 1844 auch für Kinder von Nicht-Mitgliedern geöffnet wurde. 1865 wurde ein Anbau an den großen Saal in der Theaterstraße gefügt. Dadurch konnten die Räumlichkeiten des Vorderhauses an die Stadtgemeinde vermietet werden, um darin die landwirtschaftliche Winterschule aufzunehmen.

In der Harmonie gab es einen Ballsaal, Kegelbahn, Billardtische, Bibliothek, Rauchsalon, Lesezimmer etc., wo zahlreiche Veranstaltungen stattfanden: So die Feier zur Vermählung des Großherzog Friedrich I. von Baden mit Prinzessin Luise von Preußen am 20. September 1856. Dann die 50-Jahrfeier der Schlacht bei Leipzig am 18. Oktober 1863. Am 17. Februar 1893 sprach Pfarrer Kneipp aus Wörrishofen im großen Saal der Harmonie über seine Gesundheitslehren.

Anfang des 20. Jahrhunderts erwarb die Harmonie das Haus Hauptstraße 108, das 1959 zur Verbreiterung der Theaterstraße abgerissen wurde.

Am 9. und 16. Juni 1907 feierte die Harmonie ihr 75jähriges Bestehen.

Am 3./4. Oktober 1909 fand der 29. o. Parteitag der Deutschen Volkspartei in der Harmonie und der Stadthalle statt. Im Ersten Weltkrieg diente die Harmonie als Reservelazarett. Nach dem ersten Weltkrieg war sie eine Gaststätte mit 1000 Sitzplätzen. 1937 konnte man dort für 90 Pfennige Mittag essen. Im Gartensaal der Harmonie fanden zwischen 1871 und 1883 und zwischen 1903 und 1943 die Generalversammlungen der Handels- und Gewerbebank statt. 1939 gingen Hauptstraße 108 und 110 in den Besitz der Schwanenbrauerei Schwetzingen über.

Der Name der Kinos Harmonie/Lux erinnerte noch lange an die Harmonie-Gesellschaft. Die Süddeutschen Filmbetriebe Hubertus Wald, die in Heidelberg bereits das Schloß-Kino und den Faulen Pelz betrieben, erwarben 1956 den Gebäudekomplex „Harmonie“. Ursprünglich war geplant, den Tanz- und Konzertsaal der Harmonie zu einem Kino umzuwandeln. Die Statik ließ dies aber nicht zu. So entschloß man sich zum kompletten Abriß und Neubau mit zwei Filmtheatern. Dies bedeutete einen radikalen Eingriff in die alte Bausubstanz. Dabei wurden die Gebäude Hauptstraße 110 und Theaterstraße 1 zusammengefaßt. Im Zuge dieser Baumaßnahme findet das Renaissance-Portal seinen jetzigen Standort.

Beim Abriß fand man einen Keramik-Topf, der auf das 12./13. Jahrhundert datiert wird, also wohl aus der Gründungszeit der Stadt stammt. Er befindet sich jetzt in der Dauerausstellung des Kurpfälzischen Museums. Die Fundstelle markiert die größte Ausdehung der Vorgängersiedlung Heidelbergs. Der Wormser Hof ist unter der Erde in seiner Grundsubstanz auch heute noch vorhanden (Mauerwerk, Gewölbe, riesige, jetzt vermauerte Kellerräume), wurde archäologisch aber nie untersucht.

Zur Eröffnung der Kinos am 22. Dezember 1956 lief in der Harmonie "Sissi", im Lux der Carol-Reed-Film "Trapez". Theaterleiter war Oskar Ferdinand Richter. 1981 wurde die „Harmonie“ in ein Kinocenter mit vier Kleinkinos umgewandelt. Ein weiteres Minikino entstand unter dem Namen „Gemini“ im Foyer und zeigte fortan Pornos des Beate Uhse-Verleihs.

Der Garten der „Harmonie“ (Theaterstraße 3-5) wurde im 19. und 20. Jahrhundert für Festlichkeiten wie Bälle und Konzerte verwendet. So, als Großherzog Friedrich I. von Baden in Berlin Prinzessin Luise von Preußen heiratete: „Zur Feier der Vermählung unseres allverehrten Großherzogs wurde den 20. September 1856 der Garten illuminiert, und am folgenden Tage ein vielbesuchter Festball abgehalten“. Heute ist er ein häßlicher Parkplatz gegenüber dem Theater („Theaterplatz“). Immerhin stehen dort (noch) Platanen und eine Kastanie. 2020 wurde der Platz umgestaltet. Am 31. Juli 2000 beschloß die Dezernentenkonferenz der Stadt Heidelberg, Anna-Blum-Platz und Theaterplatz von Autos zu befreien. Im Sommer 2007 wurden (dann wieder dementierte) städtische Pläne bekannt, nach denen an der Ecke Hauptstraße/Theaterstraße ein Einkaufszentrum oder auch ein „hochwertiges Textilkaufhaus“ gebaut werden sollte. 2019 wurde dort ein Lebensmittel-Supermarkt eröffnet.



Wormser Hof