Heidelberger Geschichtsverein e.V.

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Vergleiche hinken

(Aus einem Artikel der Heidelberger Studentenzeitung "Forum Academicum" des Jahres 1965)

Eine deutsche Universität kann man nicht mit einer amerikanischen vergleichen. Solche Vergleiche hinken. Nun gar eine Universität wie Heidelberg, die immer noch ein paar Jahrhunderte älter ist, als die älteste Hochschule in Amerika. Zwar gibt es drüben Universitäten, die sich ihre deutschen Schwesteruniversitäten zum Vorbild genommen haben, denn gerade Schulen wie Heidelberg haben auf viele Amerikaner einen unauslöschlichen Eindruck gemacht. Einem solchen Eindruck verdankt ja auch Heidelberg sein neues Kollegiengebäude. Viele Heidelberger Studenten kennen die Büste und Gedenktafel, die J. G. Schurman gewidmet sind, dessen Großzügigkeit den Bau dieses Hauses ermöglicht hat. Der Heidelberger Student Schurman wurde später Präsident einer großen amerikanischen Universität, die versuchte, es Heidelberg gleichzutun. Ob ihr das gelungen ist, kann man schwer entscheiden, denn Vergleiche hinken immer. Die Studiensysteme sind viel zu verschieden. Deshalb wäre es unfair, die Studentenheime in Cornell, so heißt die Universität Schurmans, z. B. mit dem CA in Heidelberg zu vergleichen; das Durchschnittsalter der Studenten in Cornell und Heidelberg ist auch völlig verschieden, deshalb wäre auch ein Vergleich der sieben Mensen in Cornell mit den zweieinhalb Mensen in Heidelberg ungerecht, wie sehr auch die übereinstimmende Studentenzahl dazu verleiten mag. Schließlich sind auch die Unterrichtssprachen an beiden Universitäten völlig verschieden, weswegen sich auch Vergleiche der Hallenbäder, Eislaufhallen, Tennisplätze, Sauna, Freibäder, Turnhallen, Fußballplätze in Cornell mit den Sporteinrichtungen der Universität Heidelberg von selbst verbietet.

Gibt es denn nun gar keinen Punkt, an dem man solche Universitäten vergleichen könnte? Vielleicht die Bibliothek? Also, versuchen wir es mal, trotz allem:


UNIVERSITÄT HEIDELBERG

Zahl der Studenten: rund 11 000

Bibliotheken:

Eine Universitätsbibliothek und eine Vielzahl unabhängiger Seminarbibliotheken. Kein Zentralkatalog.

Das Bibliotheksgebäude stammt aus der zweiten Hälfte des19. Jahrhunderts.

Die Abteilungen Katalog, Ausleihe, Fernleihe, Bibliographie, Zeitschriften, Lesesaal sind in fünf verschiedenen Räumen auf zwei Etagen bei vier verschiedenen Öffnungszeiten untergebracht.

I. Katalog:

(montags bis freitags 9.00 bis 16.00 Uhr)

Es gibt keinen Zeitschriftenkatalog; dafür aber besteht der Gesamtkatalog aus sechs verschiedenen Abteilungen:

1. Alphabetischer Katalog bis 1935 (Folianten)

2. Alphabetischer Katalog ab 1936 (Zettelkästen)

3. Dissertationen ab 1926 (Zettelkästen)

4. Dissertationen vor 1926 (Auskunft)

5. Realkatalog (Folianten) und Realsystematik (Kladde)

6. Realregister (Zettelkästen).

Wer also nur ungenaue Angaben über ein Buch zur Verfügung hat, muß unter Umständen an sechs verschiedenen Stellen suchen, bevor er mit Sicherheit sagen kann: „Es ist in der UB nicht vorhanden“. Bei der Suche kann ihm die Dame an der Auskunft helfen. Dies wird oft um so nötiger, als der ältere (Folianten-) Teil des Kataloges aus handgeschriebenen Zetteln besteht. Wer die frühere deutsche Schrift nicht lesen kann, (bes. Ausländer), wird wohl oder übel die Auskunft belästigen müssen. Auch ist der Katalog im ganzen so sparsam mit Verweisen, daß man ohne die Hilfe der überbelasteten Auskunft z. B. eine Zeitschrift mit längerem Namen nicht findet; es sei denn, man hätte die komplizierten Richtlinien für das Katalogisieren von Zeitschriften im Kopf. Wer übrigens das Erscheinungsdatum der ersten Nummer einer Zeitschrift nicht weiß, muß diese Bildungslücke mit doppelter Suche bezahlen, da jede Zeitschrift nur entweder im älteren Teil des Kataloges (bis 1935) oder im neuen Teil des Kataloges (ab 1936) aufgeführt ist.

II. Bibliographische Abteilung:

(montags bis freitags 9.00 bis 16.00 Uhr) Bei schwieriger Suche kann der Herr von der bibliographischen Abteilung helfen. Allerdings arbeitet er unter einem schweren Handicap. So hat er z.B. die wichtige PMLA-Bibliographie nicht zur Hand, da sie im Rahmen einer Zeitschrift erscheint. Sie befindet sich daher in einem anderen Stockwerk. Im übrigen muß natürlich auch er die Sparsamkeit der Katalogverweise ausbaden. Vielleicht fürchtet die Bibliothek, die Intelligenz der Entleiher zu beleidigen, wenn sie dasselbe Buch unter sämtlichen passenden Stichworten einordnet.

III. Ausleihe:

(montags bis freitags 10.00 bis 16.00 Uhr, samstags 10.00 bis 13.00 Uhr)

Wer ein Buch ausleihen möchte, wirft einen Bestellzettel in einen dafür bestimmten Kasten und stellt sich am nächsten Tag in die Schlange vor dem Ausleihschalter. Dort ist jeweils ein Herr bzw. eine Dame mit dem Ausleihen beschäftigt. Ist das Buch ausgeliehen, so hat der Besteller eben Pech gehabt. Vielleicht wird ihm aber auch mitgeteilt, das Buch (bes. ungebundene Zeitschriften) könne nicht ausgeliehen werden und müsse im Lesesaal gelesen werden. Der Lesesaal hat 120 Plätze und ist geöffnet montags bis samstags 9.00 bis 19.00 Uhr.

IV. Rückgabe:

(montags bis freitags 10.00 bis 16.00 Uhr, samstags 10.00 bis 13.00 Uhr)

Es gibt eine besondere Rückgabezeremonie an einem besonderen Rückgabeschalter, der nur zur Ausleihzeit geöffnet ist. Dort muß sich der Rückgabewillige in eine Schlange einreihen, denn für die Bedienung des Rückgabeschalters steht ebenfalls nur ein Herr bzw. eine Dame zur Verfügung.

V. Fernleihe:

(montags bis freitags 10.00 bis 13.00, 15.00 bis 16.00 Uhr) Der hoffnungsvolle hoffentliche Entleiher verliert einen weiteren Tag, wenn er ein Buch von auswärts bestellen muß. Er muß nämlich zunächst den Bestellzettel, den er von der Ausleihe ergebnislos zurückerhalten hat, wieder in einen Kasten werfen. Am nächsten Tag (es ist bei diesem Buch der dritte) erhält er den Zettel überprüft zurück und begibt sich zur Fernleihe. Von dort aus wird der Zettel auf eine Rundreise geschickt. Der Ausgang ist ungewiß. Vielleicht ist das Buch in zehn Tagen da. Oder in zehn Wochen. Oder später. Es könnte sich natürlich auch herausstellen, daß das Buch, das der Besteller sich aus, sagen wir Kiel, hatte kommen lassen, in einem oder mehreren der Heidelberger Seminare steht Allerdings wird es dort nicht ausgeliehen. Der wißbegierige Student kann es dort an Ort und Stelle benutzen, wenn er eine Seminarkarte hat, d. h. in den allermeisten Fällen, er könnte es benutzen, wenn er eine Seminarkarte hätte, denn Seminarkarten werden nur an wenigen Tagen am Semesteranfang ausgegeben, und zwar nur zu bestimmten, in jedem Seminar verschiedenen Zeiten. Um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein, müßte also ein Leser die Seminarkarten sämtlicher Seminare besitzen, was gegen manche Regel verstieße, besonders gegen die Regel der Fairneß, da in einigen Seminaren zehn Studenten auf einen Arbeitsplatz kommen. Immerhin sei lobend erwähnt, daß die Seminare in Sonderfällen bereitwillig gegen ihre eigenen Regeln verstoßen und auch Fachfremde oder gar Fakultätsfremde in ihren Räumen lesen lassen. Selbstverständlich hat aber jedes Seminar andere Öffnungszeiten. Allerdings ist das Seminarbibliotheks- und Seminarkartenproblem in diesem Zusammenhang ohnehin „rein akademisch", da es ja keinen Zentralkatalog gibt, der UB-Benutzer also gar nicht weiß, ob das gesuchte Buch in einem oder in mehreren der Seminare steht.

Ich fürchte auch hier stellt sich heraus, daß der Vergleich hinkt. Und zwar ganz gewaltig. Schließlich liegen die Universitäten ja auf ganz anderen Breitengraden.


CORNELL UNIVERSITY

Zahl der Studenten: 12000

Bibliotheken:

Eine Zentralbibliothek und einige naturwissenschaftliche und juristische Spezialbibliotheken. Der gesamte Bücherbestand der Universität ist im Katalog der Zentralbibliothek erfaßt. Das Bibliotheksgebäude stammt aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das alte Gebäude aus dem 19. Jahrhundert ist in Lesesäle umgewandelt worden.

Die Abteilungen Katalog, Ausleihe, Fernleihe, Bibliographie, Zeitschriften, Lesesaal sind in einem großen Raum zusammengefaßt. Für alle diese Abteilungen gilt nur eine Öffnungszeit: täglich, auch sonntags, von 8.00 bis 23.00 Uhr.

I. Katalog:

(täglich, auch sonntags, 8.00 bis 23.30 Uhr) Es gibt, außer einem besonderen Zeitschriftenkatalog, nur einen alphabetischen Katalog. Er verzeichnet alle Bücher in Universitätsbesitz. Ein- und dasselbe Buch taucht in diesem Katalog mehrfach, d. h. unter verschiedenen Stichwörtern auf wie z. B. Verfasser, Titel, betreffende Sachgebiete.

Ein Buch von Jakob Schmidt über das „Seelenleben der Maikäufer", das für Zoologen, Psychologen und Veterinäre interessant sein könnte, findet man also im Katalog sechs Mal, und zwar unter Sch, S, M, Z, P und V. Diese großzügige Katalogisierung spart nicht nur manches Kopfzerbrechen, sondern vor allem Zeit.

Wer dennoch Schwierigkeiten hat, ein Buch zu finden, der wendet sich an die Damen und Herren der bibliographischen Abteilung, die in Sichtweite des Katalogbenutzers sitzen. Ist das Buch nicht vorhanden, so nehmen sie auch gleich selbst die Bestellung für die Fernleihe auf.

II. Bibliographische Abteilung:

Siehe Katalog!

III. Ausleihe:

(täglich, auch sonntags, 8.00 bis 23.30 Uhr) Hier ist zu bemerken, daß in Amerika die Studenten in den höheren Semestern das Magazin betreten und sich dort die Bücher selbst heraussuchen dürfen. Alle Examenskandidaten haben außerdem im Magazin einen reservierten Arbeitsplatz gleich neben den Bücherregalen. Wer sich aus irgendeinem Grunde jedoch sein Buch nicht selbst holen will, geht zum Tisch der Ausleihe. Dort warten bis zu sechs Damen und Herren darauf, seine Bestellung aufzunehmen und per Rohrpost an die richtige Stelle im Magazin zu befördern. Die dort stationierten Bibliothekskräfte schicken das Buch sofort über den Aufzug zum Ausleihtisch: in höchstens fünf Minuten ist es da. Sollte das Buch ausgeliehen sein, so werden auf Wunsch Name, Adresse und Telefonnummer des Entleihers mitgeteilt.

IV. Rückgabe:

(24 Stunden täglich) Eine besondere Rückgabezeremonie entfällt. Man schiebt das Buch vielmehr im Vorübergehen sang- und klanglos in einen Rückgabeschlitz. Ist die Bibliothek geschlossen, so wirft man es in eine Art Nachttresor an der Gebäudeaußenwand.

V. Fernleihe:

Siehe Katalog!

Geiserich Maiwurz, in: Forum Academicum 2/1965, S. 32f.