Heidelberger Geschichtsverein e.V.

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Gedrucktes Zirkular, Beilage an einen Brief Clemens Brentanos an Achim von Arnim vom 1. Juni 1806 aus Heidelberg

Wir nehmen uns die Freiheit, Sie um Ihre Unterstützung in einem deutschen literarischen Unternehmen zu bitten, in dem Vertrauen, daß, sollten Sie selbst nicht dazu geneigt sein, Sie unsern Wunsch wenigstens mittelbar befördern möchten, indem Sie ihn solchen Männern aus Ihrem Kreise mitzuteilen die Güte haben, welche sich diesem so würdigen als leichten Geschäfte gern unterziehen mögen. Wir wünschen nämlich, recht viele brave deutsche Männer, die mit dem Landmann und den übrigen untern Volksklassen in näherer Berührung stehen, dahin zu bewegen, alle ältere Volkslieder, welche die Tradition im Gesange dieser Stände noch erhalten hat, schriftlich aufzufassen. Das gewaltsame Vordringen neuer Zeit und ihrer Gesinnung droht diese Nachklänge alter Kraft und Unschuld ganz mit sich fortzureißen, und es scheint sich uns eine gute Gesinnung, in dem Vorhaben zu bewähren, wozu wir Sie einladen, wir wollen nämlich literarisch zu befestigen suchen, was wir moralisch als beinahe untergegangen voraussetzen dürfen, jene frische Morgenluft altdeutschen Wandels, die noch in diesen Liedern weht, deren wissenschaftlichen Wert für Sitten und Sprachgeschichte auseinander zu setzen, hier nicht der Ort ist.

Wir bitten Sie uns die Ausbeute Ihres Sammelns sodann zu öffentlicher Bekanntmachung mitzuteilen, und besitzen wir gleich schon einen ansehnlichen Vorrat solcher Gesänge, so zweifeln wir doch nicht, daß sich noch manches vorzügliche finden dürfte, und wünschen so viel als möglich wenigstens in den Gattungen vollständig zu werden. Außer der dankbaren Erwähnung des Einsenders, versprechen wir auch, wo es verlangt wird, für alles, was wir nicht schon besitzen und aufnehmen können, ein den Grenzen des Instituts entsprechendes Honorar, das nach der Bekanntmachung entweder bar oder in äquivalenten auszuwählenden Büchern erhoben werden kann.

Vorzüglich wäre auf jene Lieder zu achten, welche die Kunstsprache mit dem Namen Romanze, Ballade, bezeichnet, das ist, in welchen irgend eine Begebenheit dargestellt wird, Liebeshandel, Mordgeschichte, Rittergeschichte, Wundergeschichte u. s. w. je älter und einfacher, je größer der Gewinn. Weiter scherzhafte und elegische Volkslieder, Spottlieder, charakteristische Kinderlieder, Wiegenlieder etc.

Alte Dienstboten, Kinderwärterinnen, haben meistens diese Lieder im Gedächtnis, und viele Dörfer beurkunden ihren Reichtum an solchen meist in den gemeinsamen Gesängen der Spinnstuben.

Die Lieder sind uns in der Mundart jeder Gegend, wo sie gesammelt sind, willkommen, und kann von manchen die vortreffliche Melodie mitgewonnen werden, doppelt wert. Sehr angenehm wäre uns zugleich, wenn, sollten Ihnen handschriftliche Sammlungen solcher alten, weltlichen Lieder bei Bauern, Bürgern, Handwerkern oder Schullehrern vorkommen, Sie solche uns entweder käuflich oder gegen Belohnung zur Einsicht verschaffen könnten; ähnliches wünschen wir, wenn Sie von jenen gedruckten musikalischen weltlichen Lieder Sammlungen auffinden sollten, die in so großer Menge von 1500-1600 in 8. queer und 4. meist in Nürnberg, München, Frankfurt u.s.w. herauskamen, auch alte gedruckte fliegende Blätter mit Liedern sind uns willkommen.

In wiefern wir uns aber berufen fühlen, Freunde deutscher Art und Kunst zu solcher Mithilfe einzuladen, glauben wir durch eine bereits heraus gegebene Sammlung (des Knaben Wunderhorn - alte deutsche Lieder. Heidelberg bei Mohr und Zimmer 1806) dargelegt zu haben. Außer dem Beifall aller unbefangnen das Treffliche in jeder Zeit und ihrer Form ehrenden Leser ist diesem Buche das Glück geworden, in der Jenaischen Literaturzeitung den 21sten Jenner 1806 Nr. 14 und 15 einer so ins Einzelne gehenden und günstigen als scharfsinnigen und originellen Recension zu genießen, man möchte sagen, jene Lieder seien durch die herrlichen und kräftigen Worte, die ein Solcher über sie ausgesprochen selbst herrlich kräftiger geworden. Dieser Würdigung, Aufforderung und eigner guter Gesinnung genug zu tun, lassen wir diese Einladung an Sie und andere gütige Freunde deutschen Gesanges ergehen, uns in der fortgesetzten Bekanntmachung des vaterländischen Schatzes alter trefflicher Volkslieder durch Beiträge zu unterstützen. Wir bitten Sie zugleich, Ihre weiblichen Verwandte und Angehörigen besonders zur Mitwirkung einzuladen, da Frauen meistens für frühere Eindrücke einer ungestörteren Erinnerung genießen, und besonders weibliche Dienstboten denselben ihre Gesänge lieber hersagen.

Zeitraubenden Briefwechsel zu vermeiden, bitten wir Sie Ihre Neigung für unser Vorhaben nur dann erst zu erklären, wenn Sie Schreiben bereits mit einer kleinen Sendung alter Lieder oder Nachricht, wo und wie solche zu finden, begleiten können. Sollten Sie sich aber nicht mit unsern Wünschen befassen können, so wird dieses selbst alle Erklärung unnütz machen. In der Hoffnung erfreulichen Erfolgs und im entgegengesetzten Falle Ihrer Verzeigung mit vollkommener Hochachtung.