Heidelberger Geschichtsverein e.V.

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Clemens Brentano an Friedrich Carl von Savigny, November 1806

Lieber Savigny!

Mein Weib ist tot, sie liegt mit einem neugebornen Kinde unter der Erde. Ich kenne mich nicht mehr in der Welt, wenn ich laut jammre, so höre ich, daß ich lebe, und erschrecke vor mir. Ach allmächtiger Gott, so unendlichen Jammer soll man teilen auf der Erde und soll ihn einsam hinabnehmen, wo die herrlichen Menschen vergehen. Fröhlich, glücklich und gesund war mein Weib, wir gingen aufs Schloß abends um fünf Uhr, wo der elende Gatterer die schönen Bäume fällen ließ, die Sophie aus unserm Fenster so gern ansah; sie bat um unsere geliebteste Linde, die Stricke zogen, der Baum fiel, mit Tränen des Unmuts gingen wir herab. Die Sonne ging herrlich unter, Sophie sah froh hinein, sie war lebendig himmlisch wie ein ewiges Kind, sie sagte, ich sehe so in die Sonne, ich will ein recht herrlich Kind gebären. Sie ging froh nach Haus. Die alte Lassaulx, Görres und Kadi waren bei uns, sie waren den Tag vorher zu Schiff angekommen. Kadi und ich und Sophie und Mutter Lassaulx rüsteten freudig die Wiege. Mein Weib ordnete freudig unter Wehen alles noch selbst, wir staunten sie an. Die Lassaulx blieb bei ihr, ich ging mit Hulda und Görres und Kadi in ihr Haus, bald ging ich zurück. Mein Weib wollte noch keinen Accoucheur, das Kind hatte eine böse Lage, nach einer Stunde verlangte sie den Accoucheur, ich brachte ihn, keine Gefahr. Um ein Uhr in der Nacht das Kind tot, wodurch weiß Gott. Mein Weib fragt matt nach dem Kind, wehe, wehe, ach und stirbt wie der Held in der Schlacht an der Verblutung. Man ließ mich nicht zu ihr, ich war von Sinnen, ich habe nicht geredet mit ihr, sie nicht gesehen. Der Morgen kam, Görres hielt mich in den Armen, man brachte mich aus dem Haus, aus der Stadt. Ich bin in Frankfurt, die Rudolphi hat die Hulda zu sich genommen, meine gute treffliche Magd hütet mein Haus. Aus dem Leben bin ich gerissen, alles Begonnene ist zerbrochen, was mir bevorsteht, kann ich nicht lieben, was mir geschehen, ist lauter Jammer. Alles, alles ist hin, ich bin versteint, ich hatte alles in Sophie wiedergefunden, was ich in ihr liebte, in ihr verlor, was sie war, ach ich war unaussprechlich glücklich! Wohin, wie, wo, ich weiß nichts. Die Meinigen sind mir, sind sich fremd, ich habe keine Hilfe keiner Art, einsam muß ich zurückkehren in das Haus, das verlassen ist von seinem Gott, in meine Angelegenheiten, die meine Liebe führte; alles liegt und steht, von ihren Händen gelegt, geordnet, ich werde leben mit der Toten. Begehrt Mereau sein Kind zurück, so wird es auch elend. Die arme Schubart, welche dem Hunger oft nahe ist, hat nun ihre einzige Stütze verloren, ich weiß nichts von ihr. Wo Arnim ist, weiß kein Mensch, vielleicht unter den Toten. O Savigny, wäre ich tot, mir wäre besser, mir wäre wohl. Sie waren oft freundlich gegen Sophien, sie war Ihnen sehr gut, nehmen Sie meinen Dank. Ich kann nur an dies Weib denken wie an einen Gott, ich habe in dem letzten Jahr Dinge in ihr begriffen und geliebt, die mich zur tiefsten demütigsten Liebe zwangen. Ach Savigny, ich habe alles verloren, alle Geschichte meines Lebens, alles was mich liebte, trieb und erhielt, ich habe keinen Wunsch als zu sterben.

Ihr Clemens.

(nach Clemens von Brentano, Gedichte, Erzählungen, Briefe. Hg. von Hans Magnus Enzensberger, Frankfurt 1958, S. 181f.)