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Zeittafel

Karzer unterm Treppenlauf – Das Reformierte Spital zu Heidelberg

Der Tagesablauf war minutiös geregelt. Auf das Lauten der Tagesglocke hin hatten die Spitalbewohner aufzustehen und in einem stillen Gebet Gott für die Nacht zu danken und für den Tag zu bitten. Danach war die Stube zu säubern und zu lüften, wobei das Bettzeug mindestens eine Viertelstunde aus dem Fenster zu hängen war. Im Sommer um 6.00 und im Winter um 8.00 Uhr hatten sich die Spitalbewohner zu einem gemeinsamen Morgengebet zu versammeln, wobei die verspätet Eintreffenden auf einer Liste verzeichnet wurden, ebenso diejenigen, die die Andacht durch Lachen oder unanständiges Betragen störten. Wahrend der Morgenandacht hatte der Spitalverwalter die Stuben zu inspizieren und die Namen der Bewohner zu notieren, die ihre Stuben nicht ordnungsgemäß hergerichtet hatten. Ein Frühstücksbrot wurde nur denjenigen gereicht, die als fleißige Arbeiter galten. Nach der Morgenandacht waren die jeweiligen Arbeiten im Hause oder im Garten aufzunehmen, zu denen nach Möglichkeit auch die Kinder herangezogen wurden.

Das Mittagessen wurde gruppenweise eingenommen. Um 11.00 Uhr wurde dem sogenannten ,Ersten Tisch´ das Essen gereicht, den Pfründnern und Gästen des Hauses; jeweils mit halbstündigen Abstand folgten die beiden anderen Gruppen. Die Pfründner erhielten das von ihnen vertraglich ausgehandelte Essen, für die beiden anderen Gruppen war der allwöchentliche Speiseplan genau geregelt: Der zweite Tisch erhielt sonntags, mittwochs und freitags mittags eine Suppe, Gemüse und Fleisch, an den restlichen Wochentagen nur Suppe und Gemüse, dazu wurde täglich ein halber Schoppen Wein gereicht. Am zweiten Tisch wurde Fleisch nur sonntags und mittwochs serviert, an den anderen Wochentagen lediglich Suppe und Gemüse. Sonntags und mittwochs konnte, wenn vorhanden, dazu ein halber Schoppen Wein gereicht werden: Nach dem Mittagessen war eine Ruhepause von einer Stunde vorgesehen, die jedoch nicht verbindlich war. Wer stattdessen arbeiten wollte, konnte dieses tun. Nachmittags um 4.00 Uhr konnten die fleißig arbeitenden Spitalbewohner ein Brot verlangen.

Zum Abendessen rief die Glocke den dritten Tisch um 19.00 Uhr, die beiden anderen Tische in wiederum halbstündlichen Abstanden. Am dritten Tisch wurde an allen Tagen Suppe und Brot gereicht, am zweiten Tisch Suppe, Brot und Butter oder Käse. Nach dem Abendbrot wurde sommers noch bis 22.00 Uhr, winters bis 21.00 Uhr gearbeitet, danach rief die Hausglocke wieder zu einer Andacht in den Versammlungsraum, nach der die Spitalbewohner sich auf ihre Stuben zurückzuziehen und für die Nacht vorzubereiten hatten. Auch jetzt waren sie wieder angehalten, in einem stillen Abendgebet Gott für den Tag zu danken und um einen ruhigen Schlaf zu bitten.

Dem Verwalter oblag die gesamte Organisation, und auch seine Frau wurde miteinbezogen. Bei Abschluß seines Arbeitsvertrages hatte er eine Kaution von 600 Gulden gerichtlich zu hinterlegen. Jeweils zum 22. Februar, Cathedra Petri, einem aus dem Mittelalter stammenden kommunalen Abrechnungstermin, hatte er der Hospitalkommission seinen Jahresabschluß vorzulegen und alle Ausgaben zu begründen, für eventuelle Fehlbeträge hatte er mit seiner Kaution zu haften. Er war angehalten, mit äußerster Sparsamkeit zu wirtschaften und alle überflüssigen Ausgaben zu vermeiden, bei den Lebensmitteln möglichst auf die Erzeugnisse des eigenen Gartenanbaues zuruckzugreifen. Leicht kann ihm die sparsame Führung des Hauses nicht gefallen sein, ergaben sich doch immer wieder Situationen, die Sonderausgaben notwendig machten, Reparaturen am Haus, zerrissene Kleider der Bewohner und alle die kleinen Alltagsausgaben, die sich gelegentlich unerwartet hoch summieren können. Die Hospitalkommission hatte den Verwalter mit einer Summe von Aufsichtspflichten ausgestattet, nicht nur im Sinne einer sparsamen Haushaltung, sondern auch im Sinne einer Aufsicht über das moralische und soziale Verhalten der Spitalbewohner. Zur Ahndung von Fehlverhaltenstand ihm freilich nur eine Strafe zur Verfugung: Ausschluß von einer oder mehreren Mahlzeiten, bei leichteren Vergehen erhielten die Spitalbewohner statt dessen Wasser und Brot. Die nächst schärfere Strafe war der Eintrag in die so genannte ,Sittenliste`, beispielsweise bei verspätetem Erscheinen zur gemeinsamen Andacht, Verursachung von Zank und Streit unter den Bewohnern, Fluchen und Lastern. Die Liste war vom Verwalter an die Kommission zu geben, die regelmäßig am ersten Donnerstag eines Monats im Versammlungsraum des Spitals ihre Sitzung abhielt. Wahrend der Sitzung hatten alle Bewohner im Spital zu sein, um über die ihnen zur Last gelegten Vergehen verhört zu werden oder die ausgesprochenen Strafen entgegenzunehmen.

Leider geht aus den erhaltenen Quellen nicht hervor, über welchen Strafenkatalog die Kommission verfugte, doch nach den denkbaren Umständen konnte sie kaum mehr als eine Vervielfachung der vom Spitalverwalter verhängbaren Strafen erkennen. Schlimmstenfalls konnte ein Bewohner des Hauses verwiesen werden, dieses freilich nur bei Straßenbettel der Bewohner, weil dadurch der Anschein mangelhafter Ernährung der Bewohner erweckt und der Ruf des Hauses geschädigt werden konnte. Der Kommission scheinen die möglichen Strafen jedoch nicht genügt zuhaben, denn nach dem Brand des Jahres 1798 ließen sie unter dem Treppenlauf zwischen Erdgeschoß und 1. Obergeschoß zwei Karzerräume einrichten, "um die Hospitalisten in bessere Zucht und Ordnung zu bringen und zu erhalten"; einen sehr niedrigen ohne Fenster für die Abbüßung schwererer Strafen und einen vorderen, geräumigeren für die leichteren. Eine besondere, aber dringend benötigte Einrichtung des Spitals war seine Krankenstation. Leichtere Erkrankungen wurden auf den einzelnen Zimmern behandelt, vorwiegend durch die Frau des Spitalverwalters und dazu als geeignet delegierte Bewohnerinnen und Bewohner. In Fällen schwererer und besonders ansteckender Krankheiten wurden die Patienten in den Krankensaal gebracht. Ursprünglich war nur ein einziger für Bewohnerinnen und Bewohner bestimmt, 1786 jedoch wurden zwei Raume eingerichtet, da die Kommission Geschlechtertrennung angeordnet hatte. Dazu wurden zwei Räume im ersten Obergeschoß mit Fenstern zum Garten, also in Südlage bestimmt. Jedes der Zimmer erhielt drei Betten, und im Gegensatz zu den Stuben der Bewohner konnten die Krankenzimmer beheizt werden; die Fenster wurden vergittert, zum Schutz der "ihrer Vernunft beraubten Menschen".

Aus: Jochen Goetze, Das Reformierte Spital, in: Heidelberg - Jahrbuch zur Geschichte der Stadt 5/2000, S. 25ff.

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