Schutzgemeinschaft Heiligenberg und Handschuhsheimer Geschichtswerkstatt e.V.

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Das heutige Heidelberger Rathaus auf den Grundmauern von vier Gastwirtschaften

Ludwig Haßlinger

Bei Nachforschungen über alte Heidelberger Gastwirtschaften habe ich festgestellt, daß die Altstadt Heidelbergs auch früher mit Gastwirtschaften reichlich gesegnet war. Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß der jetzige Rathausbau auf den Grundmauern von vier alten Gastwirtschaften steht. In der Hirschstraße, heute Heiliggeiststraße, lagen die Gastwirtschaften „Zum wilden Mann“, an der Ecke zum Marktplatz der „Goldene Hirsch“, in der Hauptstraße zum Kornmarkt der Gasthof „Zum schwarzen Adler“, und an der Ecke zur Mönchgasse stand die Gastwirtschaft und Brauerei „Zum großen Faß“.

Zum wilden Mann“

Die Lage des1687 erwähnten Gasthofes „Zum wilden Mann“ wird wie folgt beschrieben: „Das in der Hirschstraße gelegene Wirtshaus grenzt hinten an der Stadtapotheke und der Post an der Oberspeirischen Straß beim Neuen Markt“ (Hauptstraße Kornmarkt). Durch diese Lagebezeichnung ist das alte Gasthaus auf der Stadtansicht von Mathias Merian gut auszumachen. Die Gastwirtschaft ist nach der Zerstörung der Stadt im Jahr 1693 nicht wieder betrieben worden. Das Grundstück des abgegangenen Gasthauses gehörte später zu dem Anwesen, auf welchem der Nachfolgebau der ebenfalls zerstörten Stadtapotheke und Post errichtet wurde. Das in dem Nachfolgebau 1787 eingerichtete Gasthaus „Zum schwarzen Adler“, Hauptstraße 195, hatte durch diese Erweiterung eine Zufahrt über die Hirschstraße. Das Gelände in der Hirschstraße wurde bei der 1914 durchgeführten Rathauserweiterung überbaut. In unmittelbarer Nachbarschaft lag das Gasthaus „Zum Hirschen“.

Zum Hirschen“

Das Gasthaus „Zum Hirschen“ wird erstmals 1546 in einem Zinsbuch des Augustinerklosters erwähnt. Die Hirschstraße, heute Heiliggeiststraße, erhielt ihren Namen von diesem Gasthof. Mehrere Gassen in der Stadt sind nach alten Gasthäusern benannt. Der Heidelberger Bürgermeister Heinrich Eckart war 1580 Gastwirt auf dem „Hirschen“. Heinrich Eckart legte 1583 in der Ziegelhäuser Landstraße ein Lusthaus mit Garten und Fischweiher an, das er nach seinem Gasthaus „Zum Hirschen“ nannte. Aus dieser Anlage entstand später die Gastwirtschaft „Zum Hirschen“ mit dem Beinamen „Kuchenhäusel“ (nicht zu verwechseln mit dem Gasthaus „Zur Hirschgasse“). Das von den Besuchern als „Kuchenhäusel“ bezeichnete Gasthaus wurde bis 1895 betrieben. Nach Abbruch der ehemaligen Gastwirtschaft 1902/03 wurde auf dem Gelände die Villa Cuntz,  Ziegelhäuser Landstraße 37, erbaut.

Zurück zum „Hirsch am Markt“. Im Jahr 1683/84 wird Georg Lang als Gastwirt auf dem „Hirschen“ erwähnt. Während seiner Besuche in Heidelberg logierte Götz von Berlichingen meistens im „Hirschen uffm Markt“. Auch Philipp Melanchton, der auf der Heimreise vom „Wormser Gespräch“ einer Einladung des Kurfürsten Otto Heinrich folgte, logierte im Oktober 1557 im „Hirschen“, dem besten Gasthof der Stadt.

Der Dichter Victor von Scheffel läßt in seinem Gedicht den Herrn von Rodenstein zu Heidelberg im „Hirschen“ einkehren „Wer reit‘ mit zwanzig Knappen ein/ zu Heidelberg im Hirschen?/ das ist der Herr von Rodenstein,/ nach Rheinwein will er pirschen“. Wie aus einem Brief von Elisabeth Charlotte zu erfahren ist, war auch zu ihrer Zeit der „Hirsch“ der bekannteste Gasthof. Sie schrieb 1722 an ihre „herzallerliebste Luise“: „Ist das Wirtshaus vom großen Hirsch noch auf dem großen Markt? Das war doch das Wirtshaus, so in der größten Reputation war“.

Das Gasthaus „Zum Hirsch“ blieb im Jahr 1693 wie die meisten anderen Häuser vom großen Stadtbrand nicht verschont. In dem von 1701 bis 1705 im barocken Baustil neu errichteten Haus befand sich für einige Zeit das katholische Stadtpfarrhaus. Ab wann es als Gasthaus wieder betrieben wurde, läßt sich nicht genau feststellen.

Vor 1829 war Johann David Weber Gastwirt auf dem „Goldenen Hirsch“, wie aus dem Gesuch des Medizinalrats Dr. Pfiffikus [?] Zipf zu ersehen ist. Am 27. Mai 1834 beantragte dieser: „Die Gerechtigkeit zur Wiedereröffnung der von Johann David Weber für 5 Jahre abgeschlossenen Gastwirtschaft“. Die Konzession zur Weiterführung des Gasthauses wurde am 25. Oktober1836 erteilt. Dr. Pfiffikus Zipf betrieb den „Goldenen Hirsch“ bis zu seinem Tode im Jahr 1839. Erst im Adreßbuch 1848 wird „David Weber, Wirt zum goldenen Hirsch am Markt d 395“ wieder erwähnt. Ihm folgte 1857-58 Karl Peter Geierhaas. Im Jahr 1860 stellte der Gastwirt Johann Peter Jungmann den Gastbetrieb im „Goldenen Hirsch“ endgültig ein. Die Stadt Heidelberg erwarb 1867 das Gasthaus zum Preis von 35.000 Gulden. Von 1871 bis 1884 diente es der Städtischen Sparkasse als Domizil. 1885 wurde das alte Gasthaus abgebrochen; es mußte dem 1886-88 errichteten Rathaus-Nordflügel weichen.



Zum schwarzen Adler“ (Hauptstraße 195)

Die frei gewordene Schildgerechtigkeit „Zum schwarzen Adler“ wurde 1787 Johann Jakob Satzger auf sein Haus Hauptstraße 195 übertragen. Ein Gasthaus „Schwarzer Adler“ stand zuvor Ecke Steingasse am Brückentor neben dem „Goldenen Hecht“. Beim Bau der Alten Brücke 1786/87 wurde das Haus demoliert und mußte danach ganz abgebrochen werden. Das Grundstück erwarb die Stadt Heidelberg. Durch Abbruch des Gasthauses konnte die Schildgerechtigkeit „Zum schwarzen Adler“ wieder neu verliehen werden. In dem Vorgängerbau des Hauses Hauptstraße 195 wohnte 1545-46 und 1551-52 Pfalzgraf Ottheinrich, als er von Neuburg/ Donau nach Heidelberg kam. Um 1600 war das Haus im Besitz des Stadtapothekers Ezechias Fettich.

Im Haus neben der Stadtapotheke befand sich vor 1693 die Post. Poststationen wurden in dieser Zeit meist in Gastwirtschaften mitbetrieben, da dort Übernachtungsmöglichkeiten für Reisende und Stallungen für Pferde vorhanden waren. Das nach der Zerstörung 1693 wieder aufgebaute Haus Hauptstraße 195 war im Besitz des Professors und Kirchenrats Ludwig Christian Mieg. Er verkaufte es 1720 an Regierungsrat Hecht. Von dessen Erben erwarb es Johann Jakob Satzger, der, wie schon erwähnt, 1787 das Gasthaus „Zum schwarzen Adler“ eröffnete.

Wie Friedrich Peter Wundt in seiner „Geschichte und Beschreibung der Stadt Heidelberg“ 1805 schreibt, gingen vom „Schwarzen Adler“ die „ordinären“ Postkutschen in Richtung Mosbach und Mannheim ab. Während seines Heidelberg-Aufenthaltes 1840 wohnte Victor Hugo im „Schwarzen Adler“. In dieser Zeit war Georg Michal Keitel Gastwirt. Ihm folgte die Gastwirtsfamilie Lehr, die über 40 Jahre von 1846 bis 1887 Restaurant und Hotel betrieb. In den Jahren 1888 bis 1908 wechselten die Wirte siebenmal. Als letzter übernahm 1908 Heinrich Reith den „Schwarzen Adler“. Im Jahr 1909 erwarb die Stadt Heidelberg das Gasthaus von dem Mannheimer Architekten Bartholomäus Hartmann. Von 1909 bis 1912 befand sich in dem ehemaligen Gastraum des „Schwarzen Adler“ das „Städtische Verkehrs-Bureau“. 1912 mußte das Gebäude dem südlichen Erweiterungsbau des Rathauses weichen

Zum großen Faß“

Das „Große Faß“, Hauptstraße 199, mußte als letztes der vier Gasthäuser der Rathauserweiterung Platz machen. Ein Gasthaus „Zum Faß“ wird bereits im Jahr 1499 erwähnt. Die Schildgerechtigkeit lautete damals „Zum Faß“. Das große Faß auf dem Heidelberger Schloß war zu dieser Zeit noch nicht gebaut. In der 1499 in den Annales Universitatis tom. 3, Seite 389 erwähnten Wirtschaft „Zum Faß“ kam es zu einem Vorfall, an dem Studenten und Mitglieder des kurpfälzischen Hofes beteiligt waren. In der Nacht zum Fest der heiligen Jungfrau Agnes gerieten die adligen Besuchern des Gasthauses, darunter Prinz Ludwig, Sohn des Kurfürsten Philipp, in eine heftige Auseinandersetzung mit Studenten, bei der sich die Studenten tapfer schlugen, bevor sie abzogen. Im Kontraktbuch von 1697 ist die Wirtschaft „Zum großen Faß“ noch nicht beschrieben. Gründer und Erbauer des Gasthauses ist der Bierbrauer und Küfer Johann Christoph Werle. Am 5. März 1701 erwarb er den auf dem Markt gelegenen Hausplatz. Im Kontraktbuch von 1707-1718 wird Johann Christoph Werle als Bierbrauer und Wirt „Zum großen Faß“ erwähnt. Am 9. Juni 1723 wurde das Gasthaus zugunsten der von Werle hinterlassenen minderjährigen Kinder versteigert. Den Zuschlag erhielt der Küfer und Bierbrauer Johann Peter Schaaf zum Preis von 1200 Gulden. Ab1767 war das Gasthaus im Besitz von Mathes und Franz Joseph Beetz. Im Jahr 1801 übernahm Johann Martin Kindel den Gasthof. Er verkaufte ihn 1813 an Christian Weber Eheleute.

Auch das Gasthaus „Zum Großen Faß“ war Austragungsort einer heftigen Auseinandersetzung, an der Studenten beteiligt waren. Wie aus der Aufzeichnung eines Beteiligten zu erfahren, klagten die Studenten schon längere Zeit, einige Heidelberger Gastwirte würden es an der nötigen Höflichkeit ihnen gegenüber fehlen lassen. Den Burschen war die große Streiterei, die im Jahr 1499 im Wirtshaus „Zum Faß“ stattgefunden hatte, aus Büchern bekannt. Die vereinigten Burschenschaften wollten ein Exempel statuieren. Dafür war das Gasthaus „Zum großen Faß“ auf Grund seiner Vorgeschichte das ideale Objekt. Am 14. Juni 1820 war es so weit. Eine Deputation der Heidelberger Burschenschaften begab sich in das Gasthaus, um den Wirt wegen seines angeblich ungehörigen Betragens zur Rede zu stellen. Der Gastwirt soll sich, so wurde von den Studenten behauptet, nicht einsichtig gezeigt haben. Daraufhin stürmten die vor dem Gasthaus versammelten Burschenschaftler mit dem Schlachtruf „Burschen heraus!“ das Lokal. Die Wirtsfamilie sowie Gäste, die im Gasthaus logierten, wurden mit Schlägen aus dem Haus getrieben. Anschließend zerstörten die Eindringlinge die gesamte Einrichtung, zertrümmerten alle Türen und warfen die Fenster samt Fensterkreuz auf die Straße. Die ganze Stadt geriet in Aufruhr. Niemand wagte einzugreifen. Selbst Professor Anton Friedrich Justus Thibaut, der die Studenten lautstark aufforderte, ihre Zerstörung zu beenden, hatte keinen Erfolg. Erst nachdem alles in Stücke zerschlagen war, zogen sich die Studenten zurück.

Der akademische Senat nahm sich des Vorfalls an. Von einer Bestrafung der Anstifter und der Beteiligten wurde abgesehen, der finanzielle Schaden, der dem Wirt entstanden war, auf alle Beteiligten umgelegt. Jeder der Streithähne entrichtete freiwillig seinen Anteil von 2 Gulden und 45 Kreuzern. Gastwirt Philipp Friedrich Weber erhielt für den Schaden an seinem Gasthaus 736 Gulden und 22 Kreuzer, für die vierzehntägige Unterbrechung des Wirtschaftsbetriebs den Betrag von 210 Gulden. Gaststätte und Brauerei waren bis zum Jahr 1861 im Besitz der Gastwirt- und Bierbrauerfamilie Weber. Frau Luise Seiler geb. Weber verkaufte das Anwesen 1861 an Jakob Reuther. Von ihm erwarb es 1899 der Restaurateur Adam Kern. Er verkauft es 1914 zum Preis von 120`000 Mark an die Stadt Heidelberg für eine vorgesehene Erweiterung des Rathauses. Nach 1914 wechselten die Pächter der Gastwirtschaft oft. Von 1929 bis zur Schließung 1939 war Martin Bertsch Gastwirt auf dem „Großen Faß“. Das Gebäude mußte der 1914 vorgesehenen und 1956 realisierten Rathauserweiterung weichen.

Ab 1820 hatten die Töpfer und Hafner im „Großen Faß“ ihre Zunftwirtschaft. Ein Hinweis auf die Töpfer-und Hafnerzunft ist das von dem Tonwarenfabrikant Karl Kerzinger modellierte Tonrelief mit der Abbildung vom „Großen Faß“, das ab dem Jahr 1884 das Eingangstor des Gasthauses zierte. Das von dem Heidelberger Bildhauer Franz Berger sorgfältig restaurierte Tonrelief befindet sich nun am Rathausanbau in der Mönchgasse.

Seit 1961 steht das Heidelberger Rathaus in einem „wirtschaftsfreien Raum“. Eigentlich schade! Dieses historisch viermalig fundamentierte „wirtschaftliche“ Erbe ist ein Geschenk, das unbedingt zum Wohle der Stadt vermarktet werden sollte. Eine gemütliche Ratsstube oder ein rustikaler Ratskeller wären nicht nur ein Beweis stadtoffener Gastfreundschaft, sondern auch ein sichtbares Symbol weltoffener Gastfreundlichkeit. Eine historisch begründete Neubewirtschaftung des Rathauses würde entscheidend dazu beitragen, die Altstadt Heidelbergs in das UNESCO-Weltkulturerbe aufzunehmen.

Zudem könnte die derzeit angespannte wirtschaftliche Situation der Stadt mit dem Slogan „Wirtschaft und Verwaltung vereint unter einem Dach“ verbessert werden. Welch finanzkräftiger Investor könnte einem solch verlockenden Angebot widerstehen?



Ä klooni Wertschaft

In unserm schönen Heidelberg
wär vieles halb so schwer,
wenn jetzt wieder im Rathaus drin
„ä klooni Wertschaft wär“



Literatur und Quellen

Adreßbücher der Stadt Heidelberg, 1836-1950

Karl Christ, Alt-Heidelberger Wirtschaften, Ziegelhausen o. J.

J. Eckardt, Der Sturm auf das Gasthaus „Zum großen Faß“, in: Heidelberger Tageblatt vom 9. 5. 1908

Waldemar Hoenninger, Alte Wirtschaften im Spiegel der Kontraktbücher, in: Heidelberger Tageblatt vom 4. 2. 1929

Waldemar Hoenninger, Geschichte einer alten Wirtschaft, in: Volksgemeinschaft, Beilage„Der Kurpfälzer“ vom 1. 9. 1935

Neues Archiv für die Stadt Heidelberg Band I 1892, Band II 1894, Heidelberg

Robert Salzer, Das Schloß gesprengt, die Stadt verbrannt (Nachdruck der Ausgaben 1878, 1879). Heidelberg 1993

Jutta Schneider, Gehuse uff dem Markt gelegen, in: Rhein-Neckar-Zeitung vom 29. 1. 2002

Jutta Schneider, Vom Historismus zum „späten Resopal“, in: Rhein-Neckar-Zeitung vom 5. 2. 2002

Friedrich Peter Wundt, Die Geschichte und Beschreibung der Stadt Heidelberg. Heidelberg 1805, Nachdruck 1997

Zur Geschichte des Gasthauses „Zum Großen Faß“, in: Heidelberger Neueste Nachrichten vom 19. 10. 1935

Altes Wirtshausschild am Rathaus, in: Rhein-Neckar-Zeitung vom 18. 1. 1961

Ein alter Kornmärktler erinnert sich, in: Rhein-Neckar-Zeitung vom 2. 7. 1974

Stadtarchiv Heidelberg, Gemeinderatsakten, Archiv Nr. 147, Fasc. 1, 1832-1865