Heidelberger Geschichtsverein e.V.

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Tod eines Kinos

Die Nachricht kam per Einschreiben. Als meine Sekretärin die Post brachte und ich den Briefkopf der StadtHeidelberg erkannte, wusste ich, dass Ungemach bevorstand. Dr. Wolfgang Wagner, damals Chef des Stadtplanungsamtes und Leiter der Altstadtsanierung, kündigte den bestehenden Pachtvertrag mit denOlympic Filmbetrieben. Sein Schreiben schloss die Möglichkeit nicht aus, einen neuen Pachtvertrag unter für die Stadt günstigeren Bedingungen abzuschließen und bat um einen Gesprächstermin.

Diese Gespräche - denn bei einem blieb es nicht - fanden zunächst in einer sehr freundlichen Atmosphäre statt. Im Rahmen der Altstadtsanierung sollten die Kosten von 400.000 DM vom künftigen Pächter getragen werden, wobei für jeweils 20.000 DM ein Jahr unkündbare Pachtzeit festgeschrieben werden sollte. Mit einer solchen Vereinbarung, die nebenbei auch noch eine Verdoppelung der bisher gezahlten Pacht festschrieb, war die Geschäftsleitung einverstanden, was ich Herrn Dr. Wagner auch sofort mitteilte.

Beim nächsten Termin erklärte Herr Dr. Wagner jedoch, dass sich der Pächter einverstanden erklären müsse, sämtliche Kosten der Sanierung - auch über 400.000 DM hinaus - zu übernehmen, falls dies die desolate Bausubstanz erfordere. Die Geschäftsleitung der Olympic erklärte sich auch damit einverstanden, Kosten bis zu einer halben Million zu übernehmen.

Als bei einem abschließenden Termin der Vertrag formuliert werden sollte, brüskierte uns Dr. Wagner mit ganz neuen Bedingungen, die für unser Haus sehr nachteilig gewesen wären. Dr. Wagner drängte auf die unmittelbare schriftliche Bestätigung dieser Vorstellungen. Nebenbei ließ er durchblicken, dass ein von OB Zundel favorisierter Pächter den Vorstellungen bereits zugestimmt habe.

Das also war des Pudels Kern. Wir mussten erkennen, dass die Stadt das Kino auf keinen Fall weiterhin in ihrem Gebäude haben wollte und somit die Bedingungen von Mal zu Mal verschärft hatte. Schon im Vorfeld hatte es Behinderungen des Kinos und eine Bevorzugung des Antiquitätenhandels Berlinghoff im selben Haus gegeben, der nun als Gesamtpächter des Gebäudes ausersehen war.

Da nun der „Faule Pelz“ das erste Theater war, das ich in Heidelberg übernommen hatte, es von einem obskuren Konkurskino zu dem gemacht habe, was andere eine „Institution“ nannten, war es nicht verwunderlich, dass ich den verzweifelten Versuch unternahm, vielleicht doch noch die Existenz dieses Kinos zu retten.

Auch erneute Telephongespräche mit Herrn Dr. Wagner hatten jedoch keinen Sinn, vielmehr nützte die Stadt meine Aktivitäten wahrscheinlich, nun auch die andere Seite unter Druck zu setzen.

Es blieb bei der Schließung Ende August 1980. Letzter Film war „Wut im Bauch“ - keine Absicht, aber ein treffender Kommentar auf meine damaligen Gefühle und die vieler Kinobesucher, die das Kino in den letzten 28 Jahren gesehen hatte. Anfang Juli erschien ein Artikel in der Rhein-Neckar-Zeitung, der auf die Gründe einging, die zur Schließung führten, weitere folgten im „Tageblatt" sowie in dem Magazin „ketchup", das von den zwischenzeitlichen Programm-Machern des „Känguruh“-Kinos, Hans Burkert und Andrea Müller, herausgegeben wurde.

Einhellig war das Bedauern aller Beteiligten über das Ende des Kinos, und besonders die „Känguruh“-Programmacher Burkert und Müller erinnerten die Stadt an ihre soziale und kulturelle Verantwortung. Auch der SDR berichtete in einer „Nahaufnahme“ am 29. August aus dem „Faulen Pelz“.

Allein, es half alles n063">ichts. Mit Mel Brooks Lustspiel „Frankenstein Junior“ in der „Känguruh“-Spätvorstellung war dann endgültig Schluss. Der graue Samtvorhang lief langsam zu, die Studenten verließen das Kino etwas stiller als sonst, und die Mitarbeiter, die am nächsten Tag ihre Arbeit in anderen Theatern unserer Firma aufnahmen, hatten feuchte Augen.

Der Ausbau des Kinos fand dann innerhalb zweier Tage statt. Einige Stammgäste nahmen ihren gewohnten Kinostuhl als Andenken mit, andere holten sich Filmplakate, Programme oder Starfotos.

Bereits gegen Mittag des folgenden Tages war der Kinosaal besenrein, die Bühne von Leinwand, Vorhang, Zugmaschine und Lautsprecheranlage geräumt. Noch vor Mittag konnte ich dem zuständigen Bauaufsichtsamt melden, dass das Kino zur Übergabe bereit stehe.

Die Abnahme und Übergabe erfolgte reibungslos. Am Nachmittag wurden noch die Programmanzeiger demontiert, und zuletzt wurde die Leuchtschrift „Fauler Pelz“ abgeseilt. Die Exekution eines anspruchsvollen Filmkunstkinos war beendet, die Scharfrichter konnten sich wieder ihren (städtischen) Ämtern zuwenden.

Aus: Oskar Ferdinand Richter, Jo-Hannes Bauer. Kinogeschichten1952bis1980. Ein Filmtheaterleiter erzählt, in: Heidelberg - Jahrbuch zur Geschichte der Stadt 5/2000, S. 288f.