Osterunruhen 1968

„Zum Zeitpunkt des Attentats auf Rudi Dutschke herrschte in der Heidelberger SDS-Gruppe und Studenten- und Schülerschaft alles andere denn politische Ferienstimmung. Der Fortschritt in der politischen Mobilisierung zeigte sich noch am Abend des Attentats, als spontan Dutzende von Studenten auf dem AStA zusammenkamen, Flugblätter und Aktionen diskutierten, Flugblattkolonnen organisierten und Diskussionsbeiträge für ein teach-in auf dem Uniplatz inhaltlich vorbereiteten. Gleichzeitig wurde mit den anderen SDS-Gruppen Kontakt aufgenommen, um die Esslinger Blockade zu organisieren. Karfreitag wurde vor den Kirchen agitiert, das teach-in auf dem Uniplatz durchgeführt und die Fahrt nach Esslingen vorbereitet. Die Blockade vor dem Esslinger Bechtlehaus wurde unter Beteiligung von mehr als hundert aktiven Heidelberger Studenten hervorragend durchgeführt und erst am Morgen nach politischer Diskussion aufgehoben. Die spontane Kampfbereitschaft der Studenten, ihre Organisationsfähigkeit und ihre Solidarität, war durch Abwiegler und Wasserwerfer nicht zu besiegen.

Während der Ostertage wurde permanent diskutiert. Nachdem unter den Genossen und beteiligten Kommilitonen zunächst Einigung erzielt worden war, daß eine Wiederholung der Esslinger Aktion sinnlos sei, wurde diese zentral geplante Aktion doch unterstützt und durchzuführen versucht. Hier zeigte sich die mangelnde Organisation des SDS auf regionaler Ebene. Nachdem man in Stuttgart ein schlechtes teach-in durchgeführt hatte, das zu keinerlei organisatorischen Ergebnissen führte und mit einer überstürzten Fahrt nach Eßlingen endete, die zur völligen Reprivatisierung und Desorientierung der Demonstranten führte, war jede Möglichkeit zur kollektiven Aktion schon im Ansatz zerstört. Dem riesigen Polizeiapparat, der das Bechtlehaus und alle Zufahrtsstraßen hermetisch abgeschlossen hatte, standen die Demonstranten vereinzelt, an verschiedenen Punkten, meist in menschenleeren Gebieten, oft sogar ohne Megaphon machtlos gegenüber. Es kam zu mehr oder weniger disfunktionalen Sitzstreiks und zu Wasserspielen. Der Zweck der Aktion wurde immer unklarer. Anwesende Rockers und Junge Arbeiter wurden diffamiert und konnten in die Aktion nicht einbezogen werden. Abwiegler hatten leichtes Spiel und schienen die Vernunft auf ihrer Seite zu haben. Ein Versuch im Esslinger Stadtgefängnis festgehaltene Demonstranten zu befreien, wurde völlig disparat, unorganisiert und ohne Benachrichtigung des Gros der Demonstranten durchgeführt. Er scheiterte kläglich. Ein kurzes teach-in auf dem Esslinger Marktplatz führte zu keiner Selbstkritik, sondern nur zu einer Beschreibung der Notstandsvorbereitungen des Staates, die das eigene Versagen und die Phantasielosigkeit vor dem Polizeiapparat vertuschen sollte.

In einem großen teach-in in Heidelberg, das durch eine .Gegenzeitung' und Flugblätter vorbereitet war, konnte der Stau von Emotionen bei den inzwischen aus den Ferien zurückgekehrten Studenten, der sich aggressiv gegen den SDS entlud, nach und nach aufgelöst werden, doch konnte die Gefahr, daß auch die mobilisierten Studenten in Resignation und abstrakten Pazifismus zurückfielen, durch Hinweise auf die Legitimität revolutionärer Gegengewalt nicht einfach überwunden werden, war doch durch die spezifischen Umstände der Esslinger Aktionen (Kleinstadt, keine Möglichkeit die Arbeiter für die Aktionen zu mobilisieren) der Durchbruch zu den Jung- und Gastarbeitern, zu dem es in Frankfurt, Hamburg und München und Berlin gekommen war, nicht gelungen, so daß jede revolutionäre Interpretation höchst abstrakt bleiben mußte. Die Osteraktionen stellten sich vielfach als einmaliger Ausbruch dar, dessen negative Folgen eine Unterwerfung unter die bestehende Ordnung und die Rückkehr zu bloßer Aufklärung nahezulegen schienen. Dennoch hatte sich während der Osteraktionen ein fester Kern herausgebildet, der über den SDS hinausging, und der in Zukunft Avantgardefunktion übernehmen konnte.“

aus: Die Entwicklung des Heidelberger SDS seit Juni 1967, in: neue kritik, hrg. V. BV des SDS, Nr. 50, Frankfurt/Main Oktober/November 1968