Heidelberger Geschichtsverein e.V.

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Johann Heinrich Jung, genannt Jung-Stilling



*12. September 1740 Grund/Rothaargebirge (bei Siegen)

2. April 1817 Karlsruhe

Pietist, Schneider, Dorfschulmeister, Dichter, Augenarzt, Kameralist, kurpfälzischer Hofrat, großherzoglich badischer geheimer Hofrat, Professor für Landwirtschaft, Kunstwissenschaft, Handlungswissenschaft und Vieharzneikunde, Professor für ökonomische Wissenschaften, genannt „Patriarch der Erweckung“

Mitglied der Physikalisch-Ökonomischen Gesellschaft und der Kurfürstlich deutschen Gesellschaft in Mannheim (1775)

Onkel: Oberbergmeister Johann Heinrich Jung (1711-1786)

eng befreundet mit Kirchenrat Johann Friedrich Mieg (1744-1819), Pfarrer an der Heiliggeistkirche in Heidelberg. Das kinderlose Ehepaar Mieg nimmt eine Tochter von Jung-Stilling (Lisette [1786-1802] aus zweiter Ehe mit Selma von St. George) als Pflegekind auf

1770-1772: Straßburg, Studium der Medizin

1770: lernt dort Herder kennen

1772: lernt dort Goethe kennen

1776: auswärtiges Mitglied der kurpfälzisch-staatswirtschaftlichen Gesellschaft

1777: Goethe bearbeitet ohne Jungs Wissen dessen Autobiographie („Heinrichs Stillings Jugend. Eine wahrhafte Geschichte“)

15. September 1778: Kurfürst Carl Theodor bestätigt die Wahl zum Professor an der Kameral Hohen Schule in Lautern (Fächer: Landwirtschaft, Technologie, Fabriken- und Handelskunde und Vieharzneikunde)

25. Oktober 1778: Ankunft der Familie Jung in Lautern

Jung-Stillings Frau Christine stirbt und wird zu Lautern beerdigt. Der Friedhof wird später aufgelassen, der Grabstein ist nicht erhalten

1784-1787: Professor an der Kameral Hohen Schule Heidelberg

31. März 1785: erhält als Professor für ökonomische Wissenschaften in kurpfälzischen Diensten durch Erlaß des Kurfürsten Karl Theodor von Pfalz-Bayern die Ernennung zum kurpfälzischen Hofrat

November 1786: hält im Rahmen des 400jährigen Jubiläums der Universität Heidelberg im großen Saal des Freudenberg-Mariotteschen Hauses (Hauptstraße 235) die erste akademische Festansprache in deutscher Sprache („Über den Geist der Staatswirthschaften“). Der kurfürstliche Minister Freiherr von Oberndorff lobt Jung-Stilling vor der Festversammlung. Er erhält die philosophische Doktorwürde und den Titel Hofrat. „Nach geendigter Tafel, etwa von 120 Couverts, begab man sich in das Gebäude, wo die ehemal zu Lautern bestandene nun mehr mit der Philosophischen Fakultät zu Heidelberg vereinigte hohe Cameral-Schule ist. Herr Hofrath und Professor Jung, ein ganz besonders merkwürdiger Mann, las eine deutsche Rede ab, die allgemeinen Beifall verdiente und erhielt.- Abends war Tafel, wo bey sich mehr als 100 Frauenzimmer befanden; - hierauf fing der Ball an, und dauerte bis heute frühe nach 6 Uhr.“ (aus dem „General-Bericht über die Jubelfeyer der kurpfälzischen Universität zu Heidelberg“ von Joseph Bergmann und Samuel Thomas Soemmering, Abgeordnete der Universität Mainz, nach: Mannheimer Geschichtsblätter, Jg. 19 (1918), Nr. 11/12, Sp. 83)

1787-1803: Professor für ökonomische Wissenschaften an der Universität Marburg

1787: die Leipziger ökonomische Gesellschaft ernennt ihn zum Mitglied

1792: der ev. Theologe Friedrich Heinrich Christian Schwarz heiratet Johanna Magdalena Jung (Rufname Henriette oder Hanna, 1773-1826), älteste Tochter seines Freundes J. H. Jung-Stilling

1. Januar 1802: Lisette Jung stirbt im Haus ihrer Pflegeltern (Ehepaar Mieg) am Marktplatz Heidelberg

1803: wird von Kurfürst Karl Friedrich von Baden zum Berater ohne öffentliches Amt berufen. Freier religiöser Schriftsteller

10./17. September 1803: Umzug von Marburg nach Heidelberg. Der Kurfürst von Baden schlägt Heidelberg als Aufenthaltsort vor, Jung-Stilling darf aber selbst wählen. Er bevorzugt Karlsruhe, erkundigt sich jedoch zuerst nach den Preisen. Da die Lebenshaltungskosten in Karlsruhe sehr hoch und die Mieten teuer sind, zieht er nach Heidelberg in die Steingasse 9 (ins Bomeisselsche Handelshaus: „wir wohnen bei einer reichen jüdischen Familie in einem prächtigen Hauß im zweyten Stock, diese Familie Bomeisel genannt vereinigt alles in sich, was nur Edelmuth, zuvorkommende Liebe und Freundschaft genannt werden kann, und uns ist innig wohl bey Ihnen, Ich gebe jährlich 240 Gulden Hausmiethe"). Es handelt sich um die ehemalige Wohnung des Stadt-Kommandanten Graf von Styrum, und um den Schutz- und Handelsjuden Wolff Löw Bomeisel, der diese Wohnung an Jung-Stilling vermietet.

17. Juni 1807: Umzug der Familie von Heidelberg nach Karlsruhe in die Waldstraße 10 in Karlsruhe. Jung-Stilling wohnt zunächst im Schloss. Ende 1811, nach dem Tod des Großherzogs Karl Friedrichs, muß Jung-Stilling seine Zimmer im Schloß räumen. Er zieht mit seiner Familie ins zweite Obergeschoß des Hauses Steinstraße 23.

April 1808: wird als Berater des Großherzogs von Baden zum "Geheimen Hofrat in geistlichen Sachen" ernannt

1808: „Theorie der Geister-Kunde“ erscheint

10. Juni 1811: Großherzog Karl Friedrich von Baden stirbt. Sein Enkel Karl wird Großherzog.



28. November 1958: die Gebeine Jung-Stillings werden von der Stätte "auf dem alten Karlsruher Friedhof hinter dem Chor der jetzigen lutherischen Kirche" "in die neuaufgebaute Stadtkirche in Karlsruhe" übergeführt

Seit 1934 bzw. 1938 ist in Kaiserslautern eine Straße nach Jung-Stilling benannt



Zitat:

der Fürsten- und Staatsdiener muß den Geist der Fabricken besitzen, und sich von diesem in jede Werkstätte, wo er gutes stiften will, führen lassen“



Veröffentlichungen:

Die Schleuder eines Hirtenknaben 1775

Die große Panacee wider die Krankheit des Religionszweifels 1776

Die Theodicee des Hirtenknaben 1776

Heinrich Stillings Jugend 1777

Heinrich Stillings Jünglingsjahre 1778

Heinrich Stillings Wanderschaft 1778

Oeffentlicher Anschlag bei dem Antritte des Lehrstuhles der praktischen Kameralwissenschaften auf der Kameral Hohen Schule zu Lautern. Lautern: Kameral Hohen Schule, 1778. 15 S.

Die Geschichte des Herrn von Morgenthau 1779

Versuch einer Grundlehre sämmtlicher Kameralwissenschaften 1779

Heinrich Jung-Stilling, Beweis für den Bürger und Landmann, daß der Caffe für die Gesundheit, für die Haushaltung und für das ganze Land ein höchstschädliches Getränke sey, seinen Nassauischen Landsleuten gewidmet von Dr. Johann Heinrich Jung, ordentlichen öffentlichen Professor der Landwirthschaft, der Fabricken=Kunde, der Handlungs=Wissenschaft und der Vieharzney, an der Churpfälzischen Cameral=Hohenschule zu Lautern, und ordentlichen Mitgliede der physikalisch=ökonomischen Gesellschaft daselbst, in: Dillenburgische Intelligenz=Nachrichten. XXX. Stück. Sonnabends: den 27. Julii, 1782. - Mit gnädigster Erlaubniß und Freyheit, Sp. 469-474 [Nachdruck Siegen, Jung-Stilling-Gesellschaft e. V. 1990]

Versuch eines Lehrbuchs der Landwirthschaft der ganzen Welt 1783

Versuch einer Grundlehre sämmtlicher Kameralwissenschaften 1784

Theobald oder Die Schwärmer 1784

Versuch eines Lehrbuchs der Fabrikwissenschaft 1784

Versuch eines Lehrbuchs der Vieharzneikunde (2 Teile) 1785, 1787

Anleitung zur Cameral-Rechnungs-Wissenschaft 1785

Lehrbuch der Forstwirthschaft (2 Teile) 1787

Johann Heinrich Jung-Stilling, Über den Geist der Staatswirtschaft. Vortrag gehalten den 7ten November 1786 als die Universität zu Heidelberg ihr viertes Jubiläum feierte. Neudruck der Ausgabe Mannheim: Hof- und Akademische Buchhandlung 1787. Hg. und mit einem Nachwort von Reinhard Düchting. Heidelberg 1990

Lehrbuch der Staats-Polizey-Wissenschaft 1788

Lehrbuch der Finanz-Wissenschaft 1789

Heinrich Stillings häusliches Leben 1789

Lehrbuch der Cameral-Wissenschaft oder Cameral-Praxis 1789

Blicke in die Geheimnisse der Natur-Weisheit 1791

System der Staatswirthschaft 1792

Über den Revolutions-Geist unserer Zeit 1793

Johann Heinrich Jung-Stilling, Über die Ursprünge von Gebirgen und Erzgängen. Rede zur Übergabe des Prorektorates an der Marburger Universität am 1. Januar 1793, lat. Originaltext und dt. Übersetzung, mit Kommentar und Anmerkungen (Hg. von Reinhard Düchting). Siegen: Jung-Stilling-Gesellschaft, 2004 (Jung-Stilling-Studien ; 5) [2005 A 478]

Das Heimweh 1794-1796

Scenen aus dem Geisterreich 1795-1801

Johann Heinrich Jung-Stilling, Wichtige Berichtigung einer Stelle des ersten Aufsatzes im vierten Stück des vierten Bandes der Eudämonia, über die neuren (so) Arbeiten des Illuminatismus im katholischen Deutschland, in: Eudämonia, oder deutsches Volksglück, ein Journal für Freunde von Wahrheit und Recht, Bd. 5 (1797), S. 465 f.

Lehrbuch der Handlungswissenschaft 1799

Die Siegsgeschichte der christlichen Religion 1799

Heinrich Stillings Lehr-Jahre 1804

Theorie der Geister=Kunde, in einer Natur=Vernunft= und Bibelmäsigen Beantwortung der Frage: Was von Ahnungen, Gesichten und Geistererscheinungen geglaubt und nicht geglaubt werden müße. Nürnberg 1808 (Reprint Leipzig 1987)

Apologie der Theorie der Geisterkunde 1809

Lehrsätze der Naturgeschichte für Frauenzimmer 1816

Johann Heinrich Jung-Stilling, Lebensgeschichte. Vollständige Ausgabe, mit Anmerkungen herausgegeben von Gustav Adolf Benrath, 3. Aufl. Darmstadt 1992

Johann Heinrich Jung-Stilling, Briefe. Ausgewählt und herausgegeben von Gerhard Schwinge. Giessen 2002







Literatur:

Gustav Adolf Benrath, Jung-Stilling in Kaiserslautern 1778-1784, in: Pfälzer Heimat, Bd. 41, Speyer 1991, Nr. 1, S. 63-73 (Mit 4 Abb.) [grundlegend]

Max Geiger, Aufklärung und Erweckung. Beiträge zur Erforschung Johann Heinrich Jung-Stillings und der Erweckungstheologie. (Basler Studien zur Historischen und Systematischen Theologie, Bd. 1). Zürich 1963

Heidelberg. Jahrbuch zur Geschichte der Stadt, herausgegeben vom Heidelberger Geschichtsverein, Nr. 14 (2010), S. 19

Michael Kesselring, Jung-Stilling und die Kameral Hohe Schule. Eine Betrachtung über ihre Gründung in Lautern und das Werk Jungs, in: Pfälzische Heimatblätter 8, Ludwigshafen 1960, S. 37-38

Hans-Erhard Lessing: Technologen an der Universität Heidelberg. - In: Semper apertus. Sechshundert Jahre Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 1386-1986. Festschrift in sechs Bänden. Band II. Das neunzehnte Jahrhundert 1803-1918. Hg. v. Wilhelm Doerr in Zusammenarbeit mit Otto Haxel, Karlheinz Misera, Hans Querner, Heinrich Schipperges, Gottfried Seebaß, Eike Wolgast. Berlin usw.: Springer (1986), S. 105-131

Erich Mertens, Jung-Stilling ... in Kaiserslautern. Vortrag gehalten anlässlich der Verleihung des Stiftungspreises 2003 der „Familie Dr. Jürgen Ziegler-Stiftung“ am 2. Juli 2003 in der Universität Kaiserslautern. (Kaiserslautern: Ziegler-Stiftung) 2003 = Familie Dr. Jürgen Ziegler-Stiftung . Vortrag zur Verleihung des Stiftungspreises 2003

Alexandra Plettenberg, Die Hohe-Kameral-Schule zu Lautern 1774-1784. (Diss.). München 1983, S. 93ff., 133ff.

Gerhard Schwinge, Jung-Stilling am Hofe Karl Friedrichs in Karlsruhe, in: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins, Bd. 135 (1987), S. 183 ff.

Gerhard Schwinge, Jung-Stilling als Erbauungsschriftsteller der Erweckung. Eine literatur- und frömmigkeitsgeschichtliche Untersuchung seiner periodischen Schriften 1795-1816 und ihres Umfelds. (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus, Bd. 32). Göttingen 1994

Gerhard Schwinge, Affinität und Aversion. Jung-Stillings Verhältnis zum Freimaurertum und zum Illuminatenorden, in: Erich Mertens (Hg.), Auf den Spuren von Jung-Stilling (Klose-Festschrift). Siegen (Jung-Stilling-Gesellschaft) 1998

Gerhard Schwinge, Zur Neuorganisation der Universität Heidelberg vor 200 Jahren und zum Einfluß des ebenfalls 1803 nach Baden berufenen Jung-Stilling in den Jahren 1803-1805, in: ZGO 151 (2003), S. 415-4422

Gerhard Schwinge, Johann Heinrich Jung-Stilling, in: Reinhard Düchting, Sibi et amicis. Erinnerungen, Kleine Studien, Schriftenverzeichnis. (Hg. von Jolanta Wiendlocha). Heidelberg 2006, S. 205-210

Gerhard Schwinge, „freundlich und ernst“ Friedrich Heinrich Christian Schwarz. Theologieprofessor und Pädagoge in Heidelberg 1804-1837 und die Heidelberger Gesellschaft seiner Zeit. (Archiv und Museum der Universität Heidelberg, Schriften, Band 11). Ubstadt-Weiher 2007

Gerhard Schwinge (Hg.), Lebensbilder aus der evangelischen Kirche in Baden im 19. und 20. Jahrhundert. Bd. V Kultur und Bildung, hg. von Gerhard Schwinge (Sonderveröffentlichungen des Vereins für Kirchengeschichte in der ELK in Baden, 4). Ubstadt-Weiher u.a. 2007

Gerhard Schwinge, Zwei ungleiche Heidelberger Freunde. Die jahrzehntelangen Beziehungen zwischen Johann Heinrich Jung-Stilling (1740–1817) und Johann Friedrich Mieg (1744–1819) , in: Heidelberg. Jahrbuch zur Geschichte der Stadt, hg. vom Heidelberger Geschichtsverein, Nr. 17 (2013), S. 87-107

Gerhard Schwinge, Johann Heinrich Jung-Stilling (1740–1817). Patriarch der Erweckung. Beiträge aus 26 Jahren Jung-Stilling-Forschung, hg. von der Jung-Stilling-Gesellschaft. Ubstadt-Weiher u.a. 2014

http://www.jung-stilling-forschung.de (umfangreiche Website von Dr. Erich Mertens, Jung-Stilling-Forschung und -Archiv)

http://www.bautz.de/bbkl/j/Jung_j_he.shtml (Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon)

http://www.bad-bad.de/gesch/jung-stilling.htm (Kurzbio)

http://appserv5.ph-heidelberg.de/onlinelex/index.php?id=761 (Portrait)

http://www.uni-siegen.de/fb5/merk/stilling (Forschungsvorhaben Jung-Stilling der Uni Siegen)

http://www.uni-siegen.de/fb5/merk/stilling/downloads/nachtod_theo_jst/verfremdete_kirche.pdf

https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Heinrich_Jung-Stilling

Gedicht von Duldstill Ihrenspott