Heidelberger Geschichtsverein e.V.

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Therese Wiesert


*2. Dezember 1893 Saarbrücken


+18. Juli 1990 Bad Münstereifel (auf dem Bergfriedhof Heidelberg begraben)


Kinderkrankenschwester, Fürsorgeschwester



Ausbildung als Kinderkrankenschwester in der Luisen-Heilanstalt in Heidelberg. Deren Leiter Professor Ernst Moro empfiehlt sie an die Stadt Heidelberg.


1916: Fürsorgeschwester bei der Stadt Heidelberg


1921: wird als erste städtische Fürsorgerin verbeamtet (Hauptaufgabengebiete: Mütterberatung und Säuglingspflege in der Altstadt)


Pfarrer Hermann Maas und Therese Wiesert arbeiten in der Heidelberger „Bekenntnisgemeinschaft“ eng zusammen. Therese Wiesert unterstützt Hermann Maas z.B. dadurch, daß sie seine Briefe bei Reisen nach London mitnimmt: so einen Brief vom 19.3.1936 für den 14jährigen Sohn Gerhard der jüdischen Familie Fisch aus Heidelberg.



29.11.1933: Wiesert verlangt in einem Brief an den Heidelberger Theologen und lokalen Leiter der Bekennenden Kirche Professor Renatus Hupfeld, den in Heidelberg im Ruhestand lebenden Pfarrer Dr. Ernst Lehmann in den „Pfarrernotbund“ aufzunehmen. Hupfeld hatte Lehmann und anderen NS-Gegnern nahegelegt, „auf die Aufnahme in die Bekenntnisgemeinschaft zu verzichten, weil sie politisch belastet sind und daher die Gemeinschaft in einen falschen Verdacht bringen könnten.“ Lehmann war jüdischer Abstammung und religiöser Sozialist.


Dezember 1933: Wiesert wird wegen „Nichterzeigung des Deutschen Grußes“ denunziert und zu einer Vernehmung vor den Oberbürgermeister und den Personalamtschef zitiert


30. Juli 1935: die DAF- Mitarbeiterin Irma Weber denunziert Wiesert wegen Unterhaltung einer „engen Freundschaft“ mit den Familien Fraenkel und Heinsheimer


24. September 1935: Wiesert wird von Oberbürgermeister Dr. Carl Neinhaus und Personalamtsleiter Wilhelm Schneider aufgrund von Kontakten zu jüdischen Familien ohne Anspruch auf ein Ruhegehalt entlassen. Wiesert legt gegen ihre Entlassung Beschwerde ein. Dann klagt sie vor dem Verwaltungsgerichtshof in Karlsruhe.


21. Mai 1936: der Verwaltungsgerichtshof gibt Wiesert fast vollständig Recht. Ihre Entlassung durch den Oberbürgermeister muß aufgehoben werden.


1. Juli 1936: Wiedereinstellung in eine niedrigere Gehaltsstufe (Sachbearbeiterin im Wohlfahrtsamt)


April 1948: das Land hebt im Wege der Gnade das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs gegen Wiesert von 1936 auf. Sie lehnt die Begnadigung per Brief ab, da das damalige Urteil „doch nur durch die nationalsozialistische Rechtsauffassung“ möglich gewesen sei und „mit dem Verschwinden derselben ohne Weiteres seine Rechtskraft verlieren“ müsse.


1959: Wiesert wird als „Fürsorgeoberinspektorin“ verabschiedet (vgl. RNZ vom 2. Juli 1959)


November 2020: der Gemeinderat beschließt, eine Straße im Rohrbacher Hospital-Quartier nach Wiesert zu benennen




>Albert Fraenkel, Annemarie Fraenkel, Karl August Heinsheimer, Renatus Hupfeld, Wilhelm Schneider, Max Genthe, Adolf Rausch



Zitat:


Bei der von mir geforderten Entscheidung habe ich mich auf mein christliches Gewissen berufen. Es erscheint mir notwendig, hier noch einmal ausdrücklich zu betonen, dass meine Einstellung aus tiefster innerer Überzeugung kommt und dass ich mich als evangelischer Christ gebunden fühle an das, was Schrift und Bekenntnis von den Gliedern der Kirche fordern.“ (Therese Wiesert am 30.9.1935 in ihrer Beschwerde gegen ihre Entlassung durch Oberbürgermeister Dr. Carl Neinhaus)



Literatur:


Andreas Cser et al., Geschichte der Juden in Heidelberg. Heidelberg 1996, S. 475-478


Norbert Giovannini (Hg.), Ingrid Moraw, Reinhard Riese und Claudia Rink, Stille Helfer. Eine Spurensuche in Heidelberg 1933-1945. Heidelberg 2019, S. 77-79


Christian Kirchberg, Der Badische Verwaltungsgerichtshof im Dritten Reich. Berlin 1982


Hermann Maas-Stiftung Heidelberg (Hg.), Claudia Pepperl. Hermann Maas und sein Eintreten für verfolgte Juden im Dritten Reich. Heidelberg 1991


Frank Moraw, Die nationalsozialistische Diktatur, in: Andreas Cser et al., Geschichte der Juden in Heidelberg. Heidelberg 1996, S. 473-479


Frank Moraw, Heidelberg im Zeichen der Nürnberger Rassengesetze. Carl Neinhaus und Therese Wiesert: Zum politischen Spielraum eines Oberbürgermeisters im Nationalsozialismus, in: Heidelberg. Jahrbuch zur Geschichte der Stadt, herausgegeben vom Heidelberger Geschichtsverein, Nr. I/1996


Sebastian Riemer, Wie Carl Neinhaus eine verdiente Mitarbeiterin loswerden wollte. Im September 1935 entließ Oberbürgermeister Carl Neinhaus die Fürsorgeschwester Therese Wiesert. Der Grund: Die Beamtin wollte ihre privaten Freundschaften zu zwei Familien jüdischer Abstammung nicht beenden. Ein Gericht hob die Entlassung auf, Wiesert durfte weiter arbeiten. Der Fall zeigt: Zu diesem Zeitpunkt gab es in der Diktatur noch Spielräume für Menschen mit Gewissen und Rückgrat – Carl Neinhaus aber fehlte es an beidem, in: Rhein-Neckar-Zeitung Nr. 144, Samstag/Sonntag, 25./26. Juni 2022, S. 33




https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/therese-wiesert/


https://www.leo-bw.de/fi/web/guest/detail/-/Detail/details/PERSON/wlbblb_personen/1012564886/Wiesert+Therese