Heidelberger Geschichtsverein e.V.

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Richard Johann Kuhn

*3. Dezember 1900 Wien

31. Juli 1967 Heidelberg (auf dem Bergfriedhof begraben)

Chemiker, Wegbereiter der modernen Biochemie und der medizinischen Grundlagenforschung, Erfinder des Giftgases Soman

Mitglied im NS-Lehrerbund

Wohnung: Wilckensstraße 23 (1929-1946)

Ehefrau: Daisy Hartmann (17. 5. 1907–10. 3. 1976)

Sohn: Hans-Jürg Kuhn (*1937)



1918: Kriegsdienst, stud. Chemie in Wien

1919: stud. Chemie in München. In den Laboratorien Richard Willstätters tätig. Beteiligt sich als Mitglied der "Weißen Garden" an der Niederschlagung der Münchener Räterepublik.

1923: wird in München nach Doktorarbeit über Enzyme promoviert

1925: Habilitation in München, Privatdozent

1926-1929: o. Professor für Allgemeine und analytische Chemie an der ETH Zürich

1928: Heirat mit Daisy Hartmann (17. 5. 1907–10. 3. 1976, zwei Söhne, vier Töchter)

1928: Präsident der Deutschen Chemischen Gesellschaft

1929: Professor an der Universität Heidelberg

1930: Leiter der Abteilung für Medizinische Chemie am Kaiser Wilhelm-Institut für Innere Medizin Heidelberg

1936: Direktor des Kaiser-Wilhelm-Institut für Innere Medizin Heidelberg

1936: Kuhn gelingt die erste teilweise Synthese des Vitamins B2. Er klärt die vollständige Struktur des Vitamins B6 auf, bevor er einige Jahre später das Vitamin synthetisiert.

26. Mai 1937: Ludolf Krehl stirbt

1937: Kuhn erhält die Cothenius-Medaille der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina


1938: Kuhns Kollege Otto Meyerhof (1884-1951), Leiter der Abteilung für Physiologie des KWI seit 1929, wird von der Kaiser Wilhelm-Gesellschaft aus rassischen Gründen entlassen und emigriert

1938-1945: Führer der Deutschen Chemischen Gesellschaft


1939: Kuhn erhält in Anerkennung seiner Arbeiten über die Vitamine und die Karotinoide den Nobelpreis für Chemie für 1938. Er lehnt die Annahme des Preises ab. Auf Druck politischer Stellen schreibt er einen Brief an die Königliche schwedische Akademie der Wissenschaften, in dem er die Verleihung des Preises an einen Deutschen als Versuch bezeichnet, den Preisträger zum Verstoß gegen einen Erlaß des Führers aufzufordern. Er setzt handschriftlich unter den Brief: „Des Führers Wille ist unser Glaube."

1940-1945: Leiter der neugegründeten Fachsparte für Organische Chemie des Reichsforschungsrates

1941: Einrichtung einer Kampfstoff-Abteilung unter Kuhns Leitung am KWI (Forschung zu Tabun und Sarin)

1942: erhält den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt


5. Dezember 1942: hält eine Rede zum 75jährigen Jubiläum der Deutschen Chemischen Gesellschaft


1943: beschäftigt sich mit Nervengasforschung (Tabun, Sarin, Soman)

27. Januari 1944: Teilnehmer an der "Mycel-Tagung" im Rüstungsministerium (Hintergrund ist die Prüfung, ob dieses Zelluloseabfallprodukt durch das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt als Ersatznahrung für KZ-Häftlinge verwendet werden sollte)

1944: zweiter Preisträger des Emil-von-Behring-Preises der Universität Marburg

1944: Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Bevollmächtigten für das Gesundheitswesens Karl Brandt (1904-1948) https://en.wikipedia.org/wiki/Karl_Brandt

Oktober 1945: wird von der Universität Heidelberg entlassen https://books.google.de/books?id=Keo3DwAAQBAJ&pg=PA383&lpg=PA383&dq=%22Kurt+Heseler%22&source=bl&ots=RMkpjK0zcd&sig=EBBYNH_i7GfsvYA3quIPxGXdc_w&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwjHqPbFqrzaAhUkQJoKHVm1DfUQ6AEwB3oECAAQVw#v=onepage&q=%22Kurt%20Heseler%22&f=false

1945: geht in die USA und lehrt mehrere Jahre an der Universität von Pennsylvania

September 1946: das Entnazifizierungsverfahren gegen Kuhn wird eingestellt

1948: der ihm 1938 verliehene Nobelpreis wird nachgereicht


1948-1966: Senator der Max-Planck-Gesellschaft

1953: Rückkehr nach Deutschland

1955-1966: Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft

1958: Orden Pour le Merite für Wissenschaften und Künste

1959: Großes Verdienstkreuz mit Stern der BRD

1962: erhält den Preis der Stadt Wien für Naturwissenschaft



1968: die BASF AG Ludwigshafen am Rhein stiftet bei der Gesellschaft Deutscher Chemiker die Richard-Kuhn-Medaille https://de.wikipedia.org/wiki/Richard-Kuhn-Medaille

2005: der Vorstand der Gesellschaft Deutscher Chemiker beschließt, die Richard-Kuhn-Medaille wegen des Verhaltens Kuhns während der Zeit des Nationalsozialismus nicht mehr zu verleihen

9. Mai 2019: der Magistrat von Darmstadt beschließt die Umbenennung von acht Strassen und Plätzen, darunter die Straße, die nach Richard Kuhn benannt ist



>Ludolf Krehl, Helmut Krauch, Otto Meyerhof



>Richard-Kuhn-Straße (Wieblingen, 1978 angelegt und benannt, Legendenschild: „Prof. Dr. Richard Kuhn, *1900, +1967, Biochemiker, Direktor des Heidelberger Max-Planck-Institutes für medizinische Forschung, Nobelpreis für Chemie 1938.“) https://www.memorygaps.eu/gap-juli-2017/



>Wien: Gedenktafel im 19. Bezirk, Gymnasiumstraße 83



Zitat über Kuhn:

"Im Auftrag der Stadt Wien hat eine HistorikerInnen-Kommission die historische Bedeutung jener Persönlichkeiten, nach denen Wiener Straßen benannt sind, von 2011 bis 2013 untersucht sowie eine zeithistorische Kontextualisierung vorgenommen. Laut Abschlussbericht dieser Forschungsgruppe stand Richard Kuhn dem NS-Regime nicht nur nahe, sondern trug dieses sowohl weltanschaulich als auch mittels seiner Forschungen aktiv mit. Kuhn, der nie NSDAP-Mitglied war, verfolgte ab 1933 eine diskriminierende und denunziatorische Politik gegenüber jüdischen Mitarbeitenden in der "Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft", dessen Leiter er 1937 wurde. Durch seine wissenschaftliche Arbeit zu Gift- und Kampfgasforschung stand er indirekt im Zusammenhang mit Menschenversuchen unter anderem an KZ-Häftlingen, über die er informiert war. Kuhns stellte nach dem Zweiten Weltkrieg sein Wissen im Bereich der Seuchen- und Krankheitsbekämpfung den USA zur Verfügung und konnte bereits kurze Zeit später wieder seine Arbeit in Heidelberg aufnehmen." https://www.wien.gv.at/wiki/index.php?title=Richard_Johann_Kuhn


Zitat von Kuhn:

"Die Männer, welche am 11. November des Jahres 1867 unter der Führung von August Wilhelm Hofmann ... die ‚Deutsche’ Chemische Gesellschaft gegründet haben, ... verfolgten und verwirklichten mit der neuen Gesellschaft - auf dem Gebiete der Chemie - jenen Gedanken eines Zusammenschlusses aller Deutschen, den Otto von Bismarck erst mehr als 3 Jahre später, am 18. Januar 1871, in gewissem Umfang politisch durchsetzen konnte, den aber erst in unseren Tagen Adolf Hitler allumfassend zum Siege geführt hat. ... Gleich dem Tage des 50-jährigen Jubiläums unserer Gesellschaft fällt auch der heutige in eine schwere Zeit. Wir sind nicht zusammengekommen, um ein Fest zu feiern, sondern wollen durch Rückschau und Ausblick neue Kraft für den Schicksalskampf Europas sammeln. Darum gilt unser erster Gedanke denen, die in diesem gewaltigsten Ringen aller Zeiten ihr Letztes für Volk und Führer bereits hingegeben haben. Ihnen zu Ehren erheben wir uns von den Sitzen. Wir gedenken der Toten. Sie gaben ihr Leben im Zweikampf der Lüfte, fern von der Heimat im glühenden Sand, auf der Weite der Meere, im eisigen Winter, im russischen Land.- Nun deckt sie die Erde. Doch ihr Geist bleibt unsterblich, er lebt in der kämpfenden Front. Und wir ehren die Front: Alle Stämme der Deutschen, von Elbe und Oder, von der Donau, vom Rhein, und ihnen zur Seite die Männer des Duce, die Söhne des Tenno ..." (Rede zum 75jährigen Jubiläum der Deutschen Chemischen Gesellschaft, 5. Dezember 1942) https://www.gdch.de/fileadmin/downloads/Service_und_Informationen/Presse_OEffentlichkeitsarbeit/PDF/deich_kuhn.pdf





Literatur:

Isabella Ackerl, Friedrich Weissensteiner, Österreichisches Personenlexikon der Ersten und Zweiten Republik. Wien 1992


Peter Autengruber, Birgit Nemec, Oliver Rathkolb, Florian Wenninger, Forschungsprojektendbericht "Straßennamen Wiens seit 1860 als 'Politische Erinnerungsorte'". Wien 2013


Peter Autengruber, Lexikon der Wiener Straßennamen. Bedeutung, Herkunft, frühere Bezeichnungen. Wien 2014, 9. Auflage, S. 244


Peter Autengruber, Birgit Nemec, Oliver Rathkolb, Florian Wenninger, Umstrittene Wiener Straßennamen. Ein kritisches Lesebuch. Wien 2014, S. 116–121

Christoph Beckmann, Maike Rotzoll, „Das Doctordiplom der überall im Auslande berühmten Universität Heidelberg“. Die Aushändigung von Promotionsurkunden an jüdische Absolvent*innen des Medizinstudiums in Heidelberg zwischen 1933 und 1939, in: Heidelberg. Jahrbuch des Heidelberger Geschichtsvereins Nr. 24 (2020), S. 197, Anm. 70


Ute Deichmann, Richard Kuhn, 1900-1967. Stellungnahme zu seinem politischen Verhalten während der NS-Zeit unter der Fragestellung: Kann Kuhn als Persönlichkeit Vorbildcharakter in der Chemie zuerkannt werden? https://www.gdch.de/fileadmin/downloads/Service_und_Informationen/Presse_OEffentlichkeitsarbeit/PDF/deich_kuhn.pdf

Dagmar Drüll, Heidelberger Gelehrtenlexikon 1803-1932. (Hg.): Der Rektor der Ruprecht-Karls-Universität-Heidelberg. Berlin Heidelberg Tokio 2012

Angelika Ebbinghaus, Karl Heinz Roth, Vernichtungsforschung. Der Nobelpreisträger Richard Kuhn, die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und die Entwicklung von Nervenkampfstoffen während des Dritten Reichs, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts. Band 17, Heft 1, 2002, S. 15–50

Wolfgang U. Eckart, Volker Sellin, Eike Wolgast et al. (Hg.), Die Universität Heidelberg im Nationalsozialismus. Heidelberg 2006, S. 168, 1193

Hans Hartmann, Lexikon der Nobelpreisträger. Frankfurt: Ullstein 1967


Jörg Jaenicke, in: "Nachrichten aus der Chemie", Heft 54 (05/2006)



Ernst Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945? Frankfurt am Main 2003; 2. Aufl. 2005, 2016, S. 350f.

Ernst Klee, Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer was war vor und nach 1945. Frankfurt am Main 2007

Walter Kleindel, Das große Buch der Österreicher. 4500 Personendarstellungen in Wort und Bild, Namen, Daten, Fakten. Unter Mitarbeit von Hans Veigl. Wien: Kremayr & Scheriau 1987


Helmut Kretschmer, XIX. Döbling. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1982, S. 26 (Wiener Bezirkskulturführer, 19)


Arndt Krödel, Er wollte ihnen nie wieder begegnen. Der Enkel des Nobelpreisträgers Otto Meyerhof war zu Besuch an der Wirkungsstätte seines berühmten Großvaters, in: RNZ, 20. 5. 2011, S. 3


Helmut Maier, Chemiker im Dritten Reich. Weinheim 2015

Walter Petschan, War Richard Kuhn ein Nationalsozialist? Diskussion um eine eventuelle Änderung des Straßennamens, in: Wieblinger Anzeiger 19, Juli 2023

Florian Schmaltz, Kampfstoff-Forschung im Nationalsozialismus. Zur Kooperation von Kaiser-Wilhelm-Instituten, Militär und Industrie. (Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus 11). Göttingen 2005, S. 357-387 ("Richard Kuhn und die Kampfstoffabteilung des KWI für med. Forschung in Heidelberg")

Christian Selchow, Richard Kuhn. In: Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Döblinger Gymnasiums. 1955


Georg Sposny, „Das Erforschliche erforscht zu haben“ Erinnerung an Richard Kuhn, in: Unispiegel Heidelberg, 1/2001

Jonathan B. Tucker, War of nerves. Chemical warfare from World War I to al-Quaeda. New York 2006

Peter Zimber, Er mußte den Preis ablehnen, in: RNZ 11. 11. 2008

http://www.ethz.ch/overview/nobelprize/people/r-kuhn-de.html

https://www.gdch.de/fileadmin/downloads/Service_und_Informationen/Presse_OEffentlichkeitsarbeit/PDF/deich_kuhn.pdf (Stellungnahme zu seinem politischen Verhalten während der NS-Zeit unter der Fragestellung: Kann Kuhn als Persönlichkeit Vorbildcharakter in der Chemie zuerkannt werden? Ute Deichmann, Institut für Genetik, Universität zu Köln)

https://de.wikipedia.org/wiki/Richard_Kuhn

http://www.via-monumentum.de/index.php?article_id=81

https://www.wien.gv.at/wiki/index.php?title=Richard_Johann_Kuhn

https://www.leopoldina.org/fileadmin/redaktion/Mitglieder/CV_Kuhn_Richard_D.pdf

https://darmstadt.more-rubin1.de/anlagen.php?anz=be&vid=20193004100153&sid=ni_2019-Mag-586&status=1&x=21&y=11 (Parlamentsinformationssystem der Stadt Darmstadt )

https://www.echo-online.de/lokales/darmstadt/die-hindenburgstrasse-in-darmstadt-wird-umbenannt_20134388 (Darmstädter Echo)

https://www.darmstadt.de/presseservice/einzelansicht/news/nach-abschlussbericht-des-fachbeirats/?tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&cHash=81d60646ced9b2b37d34f458e3b80da3 (Pressemitteilung der Stadt Darmstadt:)