Heidelberger Geschichtsverein e.V.

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Karlrobert Kreiten

*26. Juni 1916 Bonn

7. September 1943 Berlin-Plötzensee (hingerichtet)

Pianist

Vater: Theo Kreiten (Pianist, Dozent an der Musikhochschule Düsseldorf, 1887-1960)

Mutter: Emmy Kreiten (Kammersängerin, 1894-1985)



1933: Kreiten erhält den internationalen Mendelssohn-Preis in Klavier

März 1943: Kreiten äußert unter dem Eindruck der Niederlage von Stalingrad gegenüber Ellen Ott-Monecke, geb. Neumann (+1944), einer Jugendfreundin seiner Mutter, dass der Krieg verloren sei, und nennt Hitler „einen Wahnsinnigen“. Denunziation bei der Reichsmusikkammer und der Gestapo durch Ellen Ott-Moneke, Tiny von Passavent, geb. Debüser, und Annemarie Windmöller.


3. Mai 1943: Kreiten wird am Morgen im Heidelberger Hotel "Reichspost" (Rohrbacherstraße 1) verhaftet. Der für denselben Tag angekündigte Konzertauftritt in der Neuen Aula der Universität findet nicht statt. Zwei Namen von Heidelberger Gestapo-Männern, Scheuermann und Feucht, werden genannt. Nach 14 Tagen lernt er im Faulen Pelz am letzten Abend noch seinen Zellennachfolger Rudolf Goldschmitt-Jentner (1890-1964) kennen.


3. September 1943: Kreiten wird vom Volksgerichtshof wegen "Feindbegünstigung" und "Wehrkraftzersetzung" zum Tode verurteilt


7. September 1943: Kreiten wird in Berlin-Plötzensee durch den Strang hingerichtet



16. März 1962: Albert Norden (SED) enthüllt Werner Höfers Autorschaft bei einer Pressekonferenz in Ostberlin



Zitat:


Am 3. September 1943 wurde der bekannte Pianist Karlrobert Kreiten vom Volksgerichtshof wegen "Feindbegünstigung" und Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt und vier Tage darauf in Berlin-Plötzensee gehängt. Der Grund: Der eher unpolitische Musiker hatte im privaten Kreise erklärt, der praktisch verlorene Krieg werde zum Untergang Deutschlands und seiner Kultur führen, und war denunziert worden. Am 15. September meldeten die Zeitungen die Vollstreckung des Todesurteils an dem 27jährigen - auch das 12 Uhr Blatt. Und eben dort erschien dann am 20. September [1943] unter der Titelzeile "Künstler - Beispiel und Vorbild" Werner Höfers fataler, später öffentlich heftig diskutierter Kommentar, der ohne Erwähnung des Namens Kreiten die Hinrichtung rechtfertigte, ja begrüßte: "Wie unnachsichtig jedoch mit einem Künstler verfahren wird, der statt Glauben Zweifel, statt Zuversicht Verleumdung und statt Haltung Verzweiflung stiftet, ging aus einer Meldung der letzten Tage hervor, die von der strengen Bestrafung eines ehrvergessenen Künstlers berichtete. Es dürfte heute niemand Verständnis dafür haben, wenn einem Künstler, der fehlte, eher verziehen würde als dem letzten gestrauchelten Volksgenossen. Das Volk fordert vielmehr, daß gerade der Künstler mit seiner verfeinerten Sensibilität und seiner weithin wirkenden Autorität so ehrlich und tapfer seine Pflicht tut, wie jeder seiner unbekannten Kameraden aus anderen Gebieten der Arbeit. Denn gerade Prominenz verpflichtet!"

Höfer selbst bestritt wiederholt, diese Zeilen geschrieben zu haben. Als der SED-Propagandachef Albert Norden den Artikel 1962 erstmals vor die Öffentlichkeit brachte, gab Höfer sein Ehrenwort, ihm sei in den Artikel "hineinredigiert" worden. Welche Passagen verändert worden seien, konnte oder wollte er allerdings nicht mehr erinnern, - auch Ende 1987 nicht, als er nach erneuten öffentlichen Diskussionen die Leitung des "Internationalen Frühschoppens" niederlegen mußte. Erneut beteuerte er, den Namen Kreiten habe er "zum ersten Mal gehört im Zusammenhang mit der Norden-Pressekonferenz".

Auf welche Weise auch immer die furchtbaren Zeilen entstanden waren - Höfer waren sie offenbar nicht merkwürdig erschienen. Jedenfalls hatte er 1943 nicht versucht, deswegen seine Nebentätigkeit für das 12 Uhr Blatt zu beenden. Schon am 30. September 1943 erschien ein Durchhalteappell in den Bremer Nachrichten: "schweigen und arbeiten“. Und Woche für Woche schrieb er weiter seine Kolumnen im 12 Uhr Blatt. Höfer pries die Tugend der Gastfreundschaft in der Not, das Volkslied als eine der "reinsten Schöpfungen deutscher Seele" (...)“ (Norbert Frei, Johannes Schmitz, Journalismus im Dritten Reich, München 1998, p. 144-147 (Johannes Schmitz))







"Frühschöppner Höfer im Zwielicht. BILD am SONNTAG entdeckte die Mutter des hingerichteten Pianisten Kreiten." "Stünde Höfer heute vor mir - ich würde ihm die Tür weisen!" "[...] Höfer ging bisher unbeschadet aus der Tragödie hervor. Anders traf es die unmittelbar Beteiligten: Die Denunziantin Ellen Ott-Monecke stürzte sich ein Jahr nach ihrem Verrat in die Flammen ihres ausgebombten Hauses. Tiny von Passavent ging elend an Krebs zugrunde. Und Annemarie Windemöller lebt vermutlich irgendwo mit ihrer Schuld weiter - unter falschem Namen. [...]" (BILD am SONNTAG, 19. 2. 1978)

1988: Kent Holliday komponiert ein Klaviertrio In Memoriam: Karlrobert Kreiten

19. Oktober 2023: die Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand veranstaltet aus Anlass des 80. Todestages des Pianisten in der St. Matthäus-Kirche in Berlin-Mitte ein Gedenkkonzert mit begleitender Lesung. Oliver Hilmes liest aus "Schattenzeit. Deutschland 1943: Alltag und Abgründe". Das Programm des verhinderten Konzerts von 1943 spielt der Pianist Florian Heinisch. https://www.gdw-berlin.de/fileadmin/bilder/veranst/2023/2023.10.19_Einladung_Gedenkkonzert_Karlrobert_Kreiten.pdf



> Karlrobert-Kreiten-Straße in Bonn-Poppelsdorf

> Kreitenstrasse in Düsseldorf



Literatur:

Rafaello Busoni, Zur Hinrichtung Robert Kreitens, in: Aufbau, Jg. 10, Nr. 19, 12. Mai 1944, S. 12

Norbert Frei, Johannes Schmitz, Journalismus im Dritten Reich. München 1998

Florian Heinisch, Pianist Karlrobert Kreiten: In Heidelberg verhaftet, in Berlin hingerichtet. Vor 100 Jahren wurde Karlrobert Kreiten geboren - Ein Konzert erinnert an den 1943 von den Nazis ermordeten Pianisten, in: RNZ online, 23.06.2016

Oliver Hilmes, Schattenzeit. Deutschland 1943: Alltag und Abgründe (304 S.), Büchergilde Gutenberg, Frankfurt/M 2023 (Lizenzausgabe, ursprünglich Siedlerverlag, München 2023) https://www.bz-berlin.de/unterhaltung/autor-oliver-hilmes-ueber-die-schattenzeit

Werner Höfer, Künstler - Beispiel und Vorbild, in: "12 Uhr Blatt" Berlin, Ausgabe 225 (20. September 1943)

Theo Kreiten, Wen die Götter lieben … Erinnerungen an Karlrobert Kreiten, Düsseldorf: Renaissance/Droste, 1947 (2. erw. Aufl. 1950, Reprint: Berlin: Hentrich, 1983)


Robert Leicht, Der Fall Höfer. Ausreden sind kein Ausweg, in: ZEIT Nr. 53/1987, 25. Dezember 1987 https://www.zeit.de/1987/53/der-fall-hoefer


Hartmut Lück, Musik und Musikpolitik im faschistischen Deutschland (1984)


Hartmut Lück, Karlrobert Kreiten, in: Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit, Claudia Maurer Zenck, Peter Petersen (Hg.), Hamburg: Universität Hamburg, 2013 (https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00004437).


Michael Mansfeld, Bonn Koblenzer Straße. Der Bericht des Robert von Lenwitz. Roman. München 1967

Fred K. Prieberg, Musik im NS-Staat (1982)


Joachim Rohloff, Zum Tod Werner Höfers. Dank Höfer, in: Jungle World 1997/49 (4.12.1997) https://jungle.world/artikel/1997/49/dank-hoefer


San Francisco Chronicle, 28. November 1997, S. B8

Helga Schubert, Judasfrauen. Zehn Fallgeschichten weiblicher Denunziation im Dritten Reich. Frankfurt am Main 41990, S. 93-99

Klaus Unger, Karlrobert Kreiten. Eine neue Dokumentation, Lohmar 1993

Wilhelm Weber, Daniel Wohlgemuth. Leben und Werk. Landau (1988), S. 55ff. (S. 57 Zeichnung von Karlrobert Kreiten)

Harald Wieser, Tod eines Pianisten, in: Der Spiegel 51/1987 (13.12.1987) https://www.spiegel.de/kultur/tod-eines-pianisten-a-b65b2c24-0002-0001-0000-000013525943


www.swr.de/swr2/programm/sendungen/musik-kommentiert/swr2-thema-musik-das-ungespielte-konzert/-/id=660534/did=17506806/nid=660534/1421jig/index.html

http://karlrobertkreiten.de/der-verrat/

(Danke für Informationen an Gilbert v. Studnitz, Hans-Martin Mumm, Christian Burkhart)