Heidelberger Geschichtsverein e.V.

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Raymond Klibansky

*15. Oktober 1905 Paris

†5. August 2005 Montreal

Philosoph

Ehrensenator der Universität Heidelberg

Sohn einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie aus Frankfurt



1914: die Familie kehrt nach Frankfurt am Main zurück

Heppenheim, Odenwaldschule

1923-1933: Heidelberg

1923: Studium der Philosophie, Archäologie, Altphilologie an der Universität Heidelberg

1927: Assistent an der Akademie für Wissenschaften

1929: Promotion

1931: Habilitation. Privatdozent für Philosophie an der Universität Heidelberg

1933: Entlassung, Emigration nach England. Nachrichtenoffizier des britischen Geheimdienstes

1936: Professor für Philosophie in Oxford

1946/1947: Director of Studies des Warburg-Instituts

1946: Professor an der McGill-Universität Montreal

1986: Ehrensenator der Universität Heidelberg

1994: Lessingpreis der Stadt Hamburg

15. Mai 1994: Interview mit Michael Buselmeier in der Reihe „Erlebte Geschichte erzählt“

1995: Ehrendoktor der Universität Bologna



Zitate:

Am 5. März 1933, dem Tag der Wahlen, traf ich frühmorgens auf der Brücke ((Heinrich)) Rickerts Assistenten, den Privatdozenten August Faust, ein guter Gelehrter, der zwei Bücher schrieb, die heute noch zu lesen sind, über den Begriff der Möglichkeit. Am Morgen der Wahl sagte er mir: "Ich hoffe doch sehr, daß die demokratischen Parteien nun wirklich gewinnen werden." Am Abend sah ich denselben August Faust auf der Alten Brücke. Er war zum Nationalsozialisten geworden, da die Nationalsozialisten zusammen mit Hugenberg die absolute Mehrheit hatten. Er sagte mir: "Wer bin ich als Individuum, daß ich mich dem Willen meines Volkes entgegensetzen kann?" Er wurde zu einem eifrigen Nationalsozialisten, der sofort eine Professur erhielt Dieser Umfall war sehr charakteristisch. Raymond Klibansky im Gespräch mit Michael Buselmeier, 15. Mai 1994, aus: [Michael Buselmeier], Erlebte Geschichte erzählt 1994-1997. Michael Buselmeier im Gespräch mit (...). Hg. Von der Stadt Heidelberg. Heidelberg 2000, S. 29

Gelber Stern oder gelber Fleck, es war beides. Es war gelb, jedenfalls. Hier in Heidelberg war das ganz bemerkenswert. Es gab kein Verbot, diese Geschäfte zu betreten, aber es war überall SA in braunen Uniformen, die sehr argwöhnisch versuchten, den Käufern abzuraten. Nun lud mich ((Heinrich)) Rickert ein, doch zu sagen, wie denn unsere „jüdischen Freunde" darauf reagieren. Und ich sagte, sie schämten sich. Da sagte Rickert, sie bräuchten sich doch nicht zu schämen. Ich entgegnete, sie schämten sich nicht ihretwegen, sondern weil niemand von der geistigen Führung in Deutschland irgendetwas dazu sage, zumindest ein maßvolles Wort der Warnung. Das erregte Rickert sehr; er sah, das war auf ihn gemünzt. Was hätte denn ein solcher Protest genützt? Worauf ich ihm sagte: "Wir haben aus Ihren Schriften und Ihren Vorlesungen gelernt, daß es das Eigene der deutschen Philosophie ist, im Gegensatz zum flachen Pragmatismus der Amerikaner und dem Utilitarismus der Engländer, eine Sache um ihrer selbst willen zu tun." Ich habe ihn nie wiedergesehen. (Raymond Klibansky im Gespräch mit Michael Buselmeier, 15. Mai 1994, aus: [Michael Buselmeier], Erlebte Geschichte erzählt 1994-1997. Michael Buselmeier im Gespräch mit (...). Hg. von der Stadt Heidelberg. Heidelberg 2000, S. 28)

Das ist eben die große Tragödie. Daß deutsche Intellektuelle, geistige Menschen, nicht nur Hitler verfielen, sondern dessen Sprachrohr wurden. Und der traurigste Fall war der Heideggers. Heidegger kam nach Heidelberg im Juni 1933 und sprach über Hitler und den Nationalsozialismus. Und diese Rede muß man kennen. Sie wurde abgedruckt in den Heidelberger Neuesten Nachrichten. Das ist eine Quelle, die unvergessen bleiben soll, wie hier die deutsche Jugend auf Hitler verpflichtet wird, und zwar auch im Namen von Heideggers Philosophie, im Namen des Seins.

Es ist zum erstenmal in der Geschichte der Philosophie, daß der Begriff des Seins in dieser Weise prostituiert wurde. Die Geschichte der Philosophie ist voll seit Platons und Aristoteles' Zeiten über die Bedeutung des Seins. Es gibt viele verschiedene Erklärungen zu der Frage: "Was ist das Sein?" Zum erstenmal in der Geschichte ist hier das Sein mit dem Willen eines Menschen gleichgesetzt. "Der Wille des Führers verkörpert das Sein." Und das scheute Heidegger sich nicht zu sagen. Das darf man nicht vergessen. Und die jungen Menschen wurden dann verpflichtet bei jener großen Versammlung in Freiburg, einen Eid auf Hitler zu leisten. Das verlangte Heidegger. Und das darf man nicht vergessen, wie da die deutsche Philosophie dem Nationalsozialismus nicht nur Vorschub geleistet hat, sondern sich als dessen Grundlage bezeichnete. Und man sah auch, wie viele Universitätslehrer sich dem beugten. Das beste Beispiel in Heidelberg ist Heinrich Rickert. (Raymond Klibansky im Gespräch mit Michael Buselmeier, 15. Mai 1994, aus: [Michael Buselmeier], Erlebte Geschichte erzählt 1994-1997. Michael Buselmeier im Gespräch mit (...). Hg. von der Stadt Heidelberg. Heidelberg 2000, S. 26)



Veröffentlichungen:

Raymond Klibansky, Erinnerungen an ein Jahrhundert. Gespräche mit Georges Leroux. Aus dem Französischen von Petra Willim (Le philosophe et la mémoire du siècle)



Literatur:

[Michael Buselmeier], Erlebte Geschichte erzählt 1994-1997. Michael Buselmeier im Gespräch mit (...). Hg. Von der Stadt Heidelberg. Heidelberg 2000 [Dok Erle]

Philippe Despoix, Im humanistischen Gehäuse. Raymond Klibanskys Leben aus dem Archiv erzählt, in: Zeitschrift für Ideengeschichte Heft XI/1, Frühjahr 2017, S. 79-94

Wolfgang U. Eckart, Volker Sellin, Eike Wolgast et al. (Hg.), Die Universität Heidelberg im Nationalsozialismus. Heidelberg 2006, S. 329f.

Nachruf von Heide Seele, in: RNZ, 17. August 2005

Jens Halfwassen, Raymond Klibansky, Erinnerungen an ein Jahrhundert, in: Ruperto Carola 3/2005, S. 30-36

mio, Er glaubte an die Macht der Entdeckungen. Akademische Gedenkfeier für den Philosophen Raymond Klibansky, in: RNZ, 24. Juli 2006

Internet:

http://www.uni-heidelberg.de/presse/news05/2512ruca.html

http://www.ledevoir.com/2005/08/09/87891.html (Mort d'un géant. Le philosophe Raymond Klibansky décède à Montréal à 99 ans)

http://www.philosophie.de/default.asp?page=97&id=694

http://de.wikipedia.org/wiki/Raymond_Klibansky

http://www.news.ch/Philosoph+Raymond+Klibansky+gestorben/219319/detail.htm