Heidelberger Geschichtsverein e.V.
Hannah Arendt
*14. Oktober 1906 Linden bei Hannover
†4. Dezember 1975 New York (begraben auf dem Friedhof des Bard College, Hudson Valley, NY State)
Philosophin, Politologin, Soziologin
Tochter des Ingenieurs Paul Arendt und dessen Frau Martha geb.Cohn
1906: nach Erkrankung des Vaters kehrt die Familie in die Heimatstadt der Eltern (Königsberg) zurück
1913: Tod des Vaters
1924: Abitur. Stud. Philosophie, Theologie, Griechisch u.a. bei Martin Heidegger und Rudolf Bultmann in Marburg
1925: Assistentin bei Edmund Husserl in Freiburg. Liebesbeziehung mit Heidegger
8. Mai 1926-Dezember 1928: stud. in Heidelberg (wohnt Schloßberg 16, bei der Waschfrau Rosa Löwenberger; Barockhaus um 1970 zerstört). Freundschaft mit Benno von Wiese (1903-1987), Hans Jonas (1903-1993), Kurt Blumenfeld (1883-1063), Erich Neumann (1905-1960)
1927: Dolf Sternberger (1907-1989) studiert an der Universität Heidelberg
1928: Promotion über den „Liebesbegriff bei Augustin“ in Heidelberg bei Karl Jaspers (1883-1969) https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Liebesbegriff_bei_Augustin
1929: Übersiedlung nach Berlin, wo sie den Philosophen Günther Anders (1902-1992, vormals Stern) heiratet (1937 geschieden)
31. März 1931: Dolf Sternberger heiratet Ilse Rothschild (Trauzeugin: Hannah Arendt)
Arendt beginnt mit Forschungen zur deutschen Romantik, die durch ein Stipendium der "Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft" gefördert werden. Ihre Studien sind 1933 in wesentlichen Teilen beendet, erscheinen aber erst 1959 unter dem Titel Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik
Juli 1933: Verhaftung durch die Gestapo in Berlin (8 Tage in Haft)
August 1933: Flucht über Karlsbad und Genf nach Paris, wo sie als Sozialarbeiterin bei verschiedenen jüdischen Organisationen arbeitet. Mitgliedschaft in der World Zionist Organization (bis 1943). Beginn der Freundschaft mit Walter Benjamin.
1935: Erste Reise nach Palästina
1937: Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit
1938: Arbeit für die Jewish Agency
16. 1. 1940: Heirat mit dem Philosophiedozenten Heinrich Blücher (1899-1970) in Paris
1940: Internierung im Lager Gurs/Südfrankreich
1941: emigriert mit Ehemann und Mutter über Portugal in die USA. Schreibt politische Kolumnen für die deutsch-jüdische Wochenzeitschrift "Aufbau". Heinrich Blücher lehrt ab 1950 an der New School for Social Research, ab 1952 am Bard College Philosophie.
9.-11. Mai 1942: Konferenz im Biltmore-Hotel New York. Der außerordentliche Zionistenkongress verabschiedet das Biltmore-Programm. Hauptsächlich geht es dabei um die Forderung nach einer Öffnung Palästinas für die Flüchtlinge aus dem besetzten Europa. In diesem Sinne wird gegen die Vorbehalte von Chaim Weizmann das Ziel eines Jewish Commonwealth formuliert. Die Konferenz findet unter der Leitung des Histadrut-Funktionärs David Ben-Gurion statt und beschließt, daß das von Großbritannien kontrollierte Palästina jüdischer Besitz werden solle. Die Konferenz macht die USA an Stelle von Großbritannien zum angestrebten Hauptpartner der zionistischen Bewegung. Eine der Teilnehmerinnen ist Hannah Arendt, die sich in den folgenden Jahren für ein binationales Staatswesen in Palästina, bestehend aus Juden und Arabern, einsetzt.
1944-1946: Forschungsleiterin der Conference on Jewish Relations
30. November 1945: die erste Nummer der Zeitschrift Die Wandlung erscheint in Heidelberg bei Lambert Schneider (bis Herbst 1949), gegründet von dem Philosophen Karl Jaspers, dem Politikwissenschaftler Dolf Sternberger (Herausgeber), dem Romanisten Werner Krauss und dem Kultursoziologen Alfred Weber. Autoren sind u. a. Hannah Arendt, T. S. Eliot, Karl Jaspers, Marie-Luise Kaschnitz, Werner Krauss, Dolf Sternberger, Gerhard Storz, Wilhelm E. Süskind, Alfred Weber und Viktor von Weizsäcker. https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Wandlung_(Monatszeitschrift)
1946-1949: Cheflektorin im Salman Schocken Verlag
1947/48-1961: Karl Jaspers (1883-1969) Ordinarius für Philosophie in Basel
1948: Dolf Sternberger und Frau zu Besuch in USA (Treffen mit Hannah Arendt)
1948-1952: Direktorin der Jewish Cultural Reconstruction Organization zur Rettung jüdischen Kulturguts
1949-März 1950: Arendt reist in dieser Funktion erstmals nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder nach Deutschland
1950: amerikanische Staatsbürgerschaft
1950: The Origins of Totalitarianism
30./31. Januar 1950: Besuch von Hannah Arendt bei Dolf Sternberger in Heidelberg
1951: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft
1953: Arendt erhält nach mehreren Gastvorlesungen u. a. in Princeton und Harvard eine Professur am Brooklyn College in New York
1953ff.: Vorlesungen in Princeton, Harvard, an der "New School", am Brooklyn College in New York, an der University of California, Berkeley
1955: Arendt besucht Deutschland
1958: The Human Condition
1958: korrespondierendes Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung
1958: Arendt besucht Deutschland. Sie hält auf dem Kulturkritiker-Kongreß in München eine Rede: „Kultur und Politik“. Sie hält die Laudatio bei der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels an Karl Jaspers.
2. Juni 1958: Aufenthalt in Heidelberg (Hotel Reichspost)
1959: Lessing-Preis der Stadt Hamburg
1960: Vita activa oder vom tätigen Leben
11. April 1961: vor dem Jerusalemer Bezirksgericht wird der Prozeß gegen Adolf Eichmann eröffnet (bis 15. Dezember 1961). Berichterstattung vom Prozeß gegen Adolf Eichmann in Jerusalem für die Zeitschrift "New Yorker".
Juli 1961: Arendt in Heidelberg (spricht im Seminar von Sternberger über ihre Beobachtungen im Eichmann-Prozeß)
1963: Eichmann in Jerusalem: A Report on the Banality of Evil
1963-1967: Professur an der University of Chicago, Professur an der New School for Social Research in New York, Gifford Lectures an der University of Aberdeen
1964: Sternberger an der University of Chikago, Zusammentreffen mit Hannah Arendt
16. September 1964: Günther Gaus (1929-2004) interviewt Hannah Arendt in der Reihe „Zur Person“ für das ZDF
1965: Besuch Arendts bei Karl Jaspers in Basel (†26. Februar 1969)
1966: Beginn der Freundschaft mit Uwe Johnson (1934-1984)
1967: Berufung an die New School for Social Research in New York
1968: Vizepräsidentin des Institute for Arts and Letters
31. 10. 1970: Heinrich Blücher (*1899) stirbt (Herzinfarkt)
1970: Macht und Gewalt
1973: Vorstandsmitglied im amerikanischen PEN-Zentrum
August 1975: Arendt besucht ihren Studienfreund Dolf Sternberger zum letzten Mal (in Darmstadt)
4. Dezember1975: Arendt stirbt in New York (Herzinfarkt)
1982: Elisabeth Young-Bruehl macht die Liebesbeziehung zwischen Heidegger und Arendt publik
14. Oktober 2006: Enthüllung einer Gedenktafel am (zerstörten) Haus Schloßberg 16 „Wir planen außerdem, einen Platz in der Bahnstadt nach ihr zu benennen“ (Oberbürgermeisterin Beate Weber, Stadtblatt 42, 18. 10. 2006, S. 5)
Zitat:
„Ich habe einfach Angst vor Deutschland und habe nicht… Heimweh. Auch nach Heidelberg nicht… Die allermeisten Menschen, die ich von frueher her kenne, moechte ich in meinem ganzen Leben nie wieder sehn.“ (H.A. an Dolf Sternberger, 12. 7. 1948, in: Hannah Arendt, Dolf Sternberger, hg. von Udo Bermbach: «Ich bin Dir halt ein bißchen zu revolutionär» Briefwechsel 1946 bis 1975. Berlin 2019, S. 101)
„Der Hitler hat aber auch garnichts geschafft; nicht mal von diesen daemlichen Bildungsphilistern hat er das deutsche Volk erloesen können“ (H.A. an Dolf Sternberger, in: Hannah Arendt, Dolf Sternberger, hg. von Udo Bermbach: «Ich bin Dir halt ein bißchen zu revolutionär» Briefwechsel 1946 bis 1975. Berlin 2019, S. 119; Anm. 3: „Der Romanist Ernst Robert Curtius hatte Jaspers in … der Welt am Sonntag scharf angegriffen und ihm u. a. vorgeworfen, Jaspers habe die Kollektivschuld der Deutschen festgestellt“)
„Die ``Pseudo-Geistigkeit von Heidelberg´´ sei ein bißchen, aber nicht viel besser [als die von Marburg]. Das Unterrichtsniveau sei beklagenswert niedrig, ``schwachsinnige´´ Professoren erklärten, ``Metaphysik ist völlig überflüssig´´, und die allgemeine Atmosphäre sei sektiererisch und cliquenhaft. ``Es ist ein blödsinniger Hexenkessel, und ich bin froh, daß mich das alles nichts angeht´´“ (H.A. an Heinrich Blücher, Juli 1952, nach: Elzbieta Ettinger, Hannah Arendt Martin Heidegger. Eine Geschichte. München, Zürich 1995, S. 105f.)
„Was ich an Heidegger-Einfluß in Heidelberg gesehen und gehört habe, ist wirklich nur verhängnisvoll, wenn es nicht so kotzdämlich wäre. Daß aber die Plattköpfe wie (Alexander) Rüstow und (Dolf) Sternberger oder selbst gute Leute wíe (Karl) Löwith dem wehren können, ist eine Illusion – die sich Jaspers auch nicht macht.“ (H. A. an Heinrich Blücher, 25. Juli 1952)
„Das den Nürnberger Prozessen zugrunde liegende Londoner Statut hat […] die ‚Verbrechen gegen die Menschheit‘ als ‚unmenschliche Handlungen‘ definiert, woraus dann in der deutschen Übersetzung die bekannten ‚Verbrechen gegen die Menschlichkeit‘ geworden sind; als hätten es die Nazis lediglich an ‚Menschlichkeit‘ fehlen lassen, als sie Millionen in die Gaskammern schickten, wahrhaftig das Understatement des Jahrhunderts.“ (H. A., Eichmann in Jerusalem, Ausg. 2004, S. 399)
„Er will absolut nach Chikago, und es sind dort wirklich kaum Aussichten. Man würde ihn vielleicht berufen, wenn er wirklich ganz außergewöhnlich wäre, aber davon kann doch keine Rede sein“, (H. A. über Dolf Sternberger am 6. Januar 1965 an Karl Jaspers, in: Hannah Arendt, Dolf Sternberger, hg. von Udo Bermbach: «Ich bin Dir halt ein bißchen zu revolutionär» Briefwechsel 1946 bis 1975. Berlin 2019, S. 58)
„Die Stadt ist leer und ohne Mittelpunkt ohne Sie.“ (H.A. an Gertrud und Karl Jaspers, 26. Juli 1952, , in: Lotte Köhler, Hans Saner (Hg.), Hannah Arendt Karl Jaspers Briefwechsel 1926-1969. München, Zürich 1985, S. 224
>Gedenktafel Schloßberg 16 (seit 2006)
Veröffentlichungen:
The Origins of Totalitarianism (1951; dt. »Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft«, 1955)
Eichmann in Jerusalem: A Report on the Banality of Evil (1963; dt. »Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen, 1964)
Hannah Arendt, Menschen in finsteren Zeiten. München 1989
Hannah Arendt, Joachim Fest, Eichmann war von empörender Dummheit. Gespräche und Briefe. Hg. von Ursula Lutz und Thomas Wild. 2011 – Rezension: RNZ, 6. 4. 2011, S. 12
Hannah Arendt, „Wir Juden“. Schriften 1932 bis 1966. Hg. von Marie Luise Knott und Ursula Ludz. München 2019 (34,– €) https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/hannah-arendts-sammelband-wir-juden-16569821-p2.html
Hannah Arendt, Uwe Johnson, Der Briefwechsel 1967-1975. Hg. Von Eberhard Fahlke und Thomas Wild. Frankfurt am Main 2004
Hannah Arendt, Dolf Sternberger, herausgegeben von Udo Bermbach: «Ich bin Dir halt ein bißchen zu revolutionär» Briefwechsel 1946 bis 1975. Berlin 2019 (Rez. Gustav Seibt, Süddeutsche Zeitung, 15.10.2019)
Literatur:
Urs Bitterli, Golo Mann – Instanz und Außenseiter. Eine Biographie, Zürich und Berlin 2004, S. 216ff.
Elzbieta Ettinger, Hannah Arendt Martin Heidegger. Eine Geschichte. München, Zürich 1995 [LB25Heid]
Lotte Köhler, Hans Saner (Hg.), Hannah Arendt Karl Jaspers Briefwechsel 1926-1969. München, Zürich 1985 [LB25Jasp]
Walter Laqueur, Der Arendt-Kult. Hannah Arendt als politische Kommentatorin, in: Europäische Rundschau. Vierteljahreszeitschrift für Politik, Wirtschaft und Zeitgeschehen. H. 4, 1998 (Herbst), Wien 1998, S. 111–125.
Ursula Ludz, Briefe 1925 bis 1975 und andere Zeugnisse. Hannah Arendt, Martin Heidegger. Frankfurt am Main 1989
Golo Mann, Der verdrehte Eichmann. Hannah Arendts Buch: Überklugheit verstellte die Erkenntnis, in: ZEIT Nr. 04/1964, 24. Januar 1964
[Petra Schaffrodt], Juden an der Universität Heidelberg. Dokumente aus sieben Jahrhunderten. Heidelberg Universitätsbibliothek 12. 6.-31. 8. 2002, Jerusalem National- und Universitätsbibliothek 6. 11.-31. 12. 2002. Heidelberg 2002
Rolf Schneider, Ich bin ein Narr und weiß es – Liebesaffären deutscher Literaten. Berlin 2001
Elisabeth Young-Bruehl, Hannah Arendt, For Love of the World. Yale University-Press, New Haven, London 1982
Elisabeth Young-Bruehl, Hannah Arendt. Leben, Werk und Zeit. Frankfurt 1986
http://home.muenster.net/~hag/hannah/phil.html (Hannah-Arendt-Gymnasium Lengerich)
https://www.uni-heidelberg.de/de/universitaet/heidelberger-profile/historische-portraets/denken-ohne-gelaender (Denken ohne Geländer. Die Jaspers-Schülerin Hannah Arendt prägte den Begriff der „Banalität des Bösen“)