Heidelberger Geschichtsverein e.V.

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Ludwig Merz

Ein Töpferofen in meinem Hausgarten

Der Heidelberger Stadtteil Neuenheim, in dem ich wohne, liegt auf dem Gelände einer ehemals römischen Siedlung um ein Kastell. Bereits zu Beginn unseres Jahrhunderts konnte der Archäologe Karl Pfaff hier zahlreiche Funde aus der Römerzeit bergen. Sie sind in der Archäologischen Abteilung des Kurpfälzischen Museum zu finden. Am Ende der zwanziger Jahre begann man, das westliche Vorfeld Neuenheims zu bebauen. In diese Zeit fällt auch der Bau des Hauses, das ich jetzt bewohne. Aus den Unterlagen im Museum geht hervor, daß man damals Spuren fand, die auf eine römische Töpferei hinweisen. In den sechziger Jahren begann man, das westliche Gelände Neuenheims weiter zu bebauen. Es kamen u.a. dabei auch Reste des ehemaligen Steinkastells zutage und im heutigen Universitätsgelände im Neuenheimer Feld ein römischer Friedhof mit Hunderten von Brandbestattungen. Die Leitung der Ausgrabungen hatte damals der Archäologe Berndmark Heukemes.

Nun wieder zurück zu unserem Haus und seinen Garten. Dieser war mir von Freunden überlassen worden und von diesen dann 1959 verkauft worden. Damit kommen wir zur Auffindung der zuvor vermuteten Töpferei und ihren beiden Töpferöfen. Als der Bagger ankam, sagte ich zu den Arbeitern: „Paßt auf, wenn verbrannte rote Erde kommt, gibt es Bier!“ Es war die Zeit zwischen Ostern und Pfingsten 1959, als das römische „Osterei“ wirklich zutage kam. Umgehend kam auch der Archäologe mit seinen Ausgräbern. Sie konnten ihre Arbeit in Ruhe beginnen, denn der Baggerführer baggerte um die Fundstelle herum. Als der Heizungsschacht des Töpferofens freigelegt war, schlüpfte unser Kater als erstes Lebewesen seit hunderten von Jahren hinein, weil er darin Mäuse vermutete. Mit großem Geschick modellierten die Ausgräber den Längsschnitt von zwei einander gegenüber liegenden Töpferöfen heraus. Auf einem Rost stand sogar noch ein Krug, allerdings ein Fehlbrand, denn er zeigte einen Brandriß.

Den folgenden Abschnitt möchte ich mit „Gebrannte Spuren“ überschreiben. Solche kann man zum Beispiel auf Ziegeln finden, wie sie in einer römischen Ziegelei am Brückenkopf der Heidelberger Ernst-Walz-Brücke zutage kamen. Über Ziegel, die noch weich waren, liefen allerlei Vierbeiner wie Hunde, Katzen, Eichhörnchen und Wiesel. Aber auch in der Ziegelei arbeitende Legionäre machten zuweilen einen „Fehltritt“, der die Spur einer benagelten Sandale hinterließ. Eine Spur war mehrmals zu erkennen. Es war der Abdruck der Vorderseite einer Sandale, an der drei Nägel fehlten. Der „Schlamper“ hieß von da an „Legionär Dreinagel“. Auch an unseren Töpferöfen waren solche gebrannten Spuren zu finden. Die Öfen mußten, wenn der Ton, mit dem sie verstrichen waren, noch weich war, mit Hölzern gestützt werden. Dadurch entstanden Abdrucke der Holzmaserung, die nach der Härtung des Verstrichs erhalten blieben. Sie waren stellenweise so deutlich, daß ein Dendrologe die Baumart des zur Verkleidung benutzten Holzes feststellen konnte.

In Bezug auf solches Spurensuchen möchte ich folgendes berichten: Nach der gründlichen Untersuchung des Töpferofens durch den Archäologen mußte dieser zwecks Fortsetzung der Bauarbeiten abgetragen werden. Dabei fand ich eine Erinnerung an den römischen Töpfer, die man schon als Begegnung bezeichnen kann. Auf einem Stück der inneren Auskleidung bzw. des Verstrichs der Ofenkuppel fand ich eine klare Fingerspur des Töpfers. Nach nahezu zweitausend Jahren kann ich jetzt meine Finger durch die Spur von damals gleiten lassen. Die Spur eines Menschen, der hier auf meinem Platz einmal gelebt und gewirkt hat.

Es stellte sich heraus, daß die römerzeitlichen Spuren, die beim Bau unseres Hauses gefunden wurden, zu der Töpferei gehörten. Es waren außer Tonscherben sogenannte Pfostenlöcher. Sie stammten von den Stützpfosten eines Trockenschuppens. In diesem wurden die noch weichen Tongefäße regengeschützt aufgestellt. Erst nachdem sie durch die Luft getrocknet worden waren, kamen sie in den Ofen. Andernfalls wären sie infolge der Feuchtigkeit des Tones gesprungen, was nicht selten vorkam.

Prosaischer, jedoch nicht weniger aufschlußreich war das Freilegen der Abfallgruben. Sie ließen an ihren Scherben die an Ort und Stelle hergestellten Tonwaren erkennen. Sie bezeugten jedoch ebenfalls, daß die Grube auch als Abort benutzt worden war. In einer verhältnismäßig flachen Grube fand man eine größere Packung von Lehm. Es war das Material, das in unserer Töpferei verwendet worden war. Man weiß auch, wo er abgetragen worden war, nämlich in Ziegelhausen, wo römische Funde es bezeugen konnten. Es ist der erwünschte feine Uferaulehm, der durch langsames Absetzen aus dem Neckarwasser entstand.

Um die Probe aufs Exempel zu machen, habe ich folgendes probiert: Ich weichte ein Stück aus unserer Lehmgrube auf und formte daraus ein „Katzenschälchen“, das ich in einem heutigen Ofen brannte. Wie das „Brennen“ in einem römischen Töpferofen ablief, das soll die beigegebene Funktionsskizze veranschaulichen. Die Bezeichnung „brennen“ ist für den Vorgang nicht ganz zutreffend. Das Härten des noch weichen Gefäßes geschieht nicht über einer Flamme, sondern in Heißluft, wie auch in modernen Öfen. Kam ein Gefäß direkt über eine Flamme, dann konnte ein Fehlbrand entstehen, der dunkle Verfärbungen oder Risse aufwies.

Die römerzeitliche Siedlung in Neuenheim und Bergheim war, nach allem zu schließen, ein Töpferzentrum, in dem sechzig Öfen nachgewiesen wurden. Außerdem fand man in Bergheim, aufgeschüttet in einem Brunnen, mehrere Tausend ofenfrische Gefäße. Sie stammten vermutlich von einem zerstörten Warenlager. Die günstige Lage der Töpferviertel am Neckar und die Fernstraßen erleichterten den Vertrieb der Tonwaren per Schiff und auf Wagen rundum.

Die Stadt Heidelberg ist selbstverständlich bemüht, die Erinnerung an die römische Vergangenheit unseres Raumes wachzuhalten. So gibt es im Stadtteil Bergheim am südlichen Neckarufer einen Römerplatz. Von ihm zogen einst vier Fernstraßen in das Land, unter ihnen auch die heutige Römerstraße. Sogar die Meilensteine dazu stehen im Museum. Zur Römerzeit verband eine Holzbrücke auf Steinpfeilern die beiden Neckarufer. An deren Brückenköpfen steht jeweils ein Gedenkstein mit einem Bronzerelief der Brücke. In ihrer Mitte stand ein Heiligtum des Neptun. Reste des Götterstandbildes sind im Kurpfälzischen Museum ausgestellt. Im selben Raum erstreckt sich auf Seitenlänge ein Modell der römischen Neckarbrücke inmitten der sie umgebenden Flußlandschaft. Es lohnt sich also, unter diesem Gesichtspunkt einmal die archäologische Abteilung des Museums zu besuchen. Nicht zu vergessen das im natürlichen Maßstab rekonstruierte Mithras-Heiligtum mit einem wandgroßen Mithras-Stein, dessen Original in Neuenheim beim Aufgang zum Heiligenberg gefunden wurde, und das heute im Landesmuseum Karlsruhe steht.

Der Stadtteilverein Neuenheim legte Wert auf die Kennzeichnung der römischen Besiedlung im Gelände, wie zum Beispiel die Benennung einer Straße als Kastellweg und den bereits erwähnten Gedenkstein für die Römerbrücke. Nun kam im vergangenen Jahr in dieser Hinsicht eine Anregung von Bewohnern des römischen Bereichs, den scherzhaft sogenannten „Provinzialrömern“. Sie sind interessiert bezüglich der Nachbarschaft ihres Hauses zum römischen Steinkastell aus dem Jahre 90 nach Christus. Unter diesem Gesichtspunkt entstand im Kurpfälzischen Museum eine Schautafel. Diese wurde gestaltet von der Leiterin der Archäologischen Abteilung, Dr. Renate Ludwig. Die Tafel enthält Abbildungen von Ausgrabungen und eine Geschichte des Steinkastells. Im Mittelpunkt steht der Plan des Kastells, der veranschaulicht, wie man sich die Lage des ehemalige Kastells innerhalb der heutigen Straßenzüge vorstellen kann. Als Standort wählte der Stadtteilverein eine vielbegangene Stelle neben einer Telefonzelle unter der Straßenbeleuchtung. Es ist die Kreuzung der ehemaligen Lagerstraße des Kastells, die Ladenburger Straße mit der Wielandtstraße. Das städtische Gartenbauamt besorgt die gärtnerische Gestaltung. Die Verbundenheit mit den Ausgräbern und mit Dr. Heukemes gab mir erlebnisreiche Einblicke in die Archäologie unseres Raumes. Ich erfuhr von den Planungen, den Zufällen, aber auch von den Enttäuschungen dieser Wissenschaft. Waren die Ausgräber doch viele Male in unserer Waschküche zum Reinigen Hunderter von Scherben, aber auch zum Aufwärmen mit heißem Tee, den meine Frau servierte. Denn oftmals wurde gegraben bis zum Beginn der kalten Jahreszeit.

Ludwig Merz

Benutzte Literatur:

Berndmark Heukemes, Römische Keramik aus Heidelberg

Renate Ludwig, Kelten, Kastelle, Kurfürsten