Heidelberger Geschichtsverein e.V.

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Ludwig Merz: Am Karlstor legten einst Schiffe an

Das Bauwerk, von dem in der folgenden Abhandlung berichtet wird, ist das Karlstor am östlichen Ende Heidelbergs. Daß an seinem Fuße einmal eine Schiffsanlege zu sehen war, erfuhr ich aus der Betrachtung von alten Stadtansichten im Zusammenhang mit meinen vergleichenden stadttopographischen Forschungen. Es geht mir darum, die Wandlungen des Stadtbildes im Laufe der Jahrhunderte zu zeigen und topographische Vergleiche anzustellen. Der Grundriß der alten Stadt Heidelbergs hat sich wenig verändert. Eine starke Wandlung des Stadtbildes selbst geschah durch zwei große vernichtende Stadtbrände. Einem Großbrand fiel 1278 das mittelalterliche Heidelberg zum Opfer, und die Brände von 1689 und 1693 im Orléanischen Erbfolgekrieg zerstörten die Stadt, wie sie noch auf dem Kupferstich von Merian von 1620 zu sehen ist. Diese Stadtansicht ist mir eine zuverlässige Unterlage für meine alttopographischen Erkundungen der Altstadt. Sie bestätigt auch den urkundlichen Wert von alten Stadtansichten. Mit der vergleichenden topographischen Betrachtung eines Kupferstiches von Merian begann auch meine Erkundung und Anlage des „Historischen Pfads“ durch den Heidelberger Stadtwald. Es ist die Darstellung des Kupferstechers und Chronisten der Belagerung und Einnahme der Stadt Heidelberg durch Tilly im Jahre 1622. Merian war zwar nicht als Berichterstatter an Ort und Stelle. Er hat jedoch, wie ich feststellen konnte, den zeitgenössischen Bericht, die RELATIO HISTORICA POSTHUMA OBSIDIONIS HEIDELBERGENSIS, genau gelesen und für seine Bestimmung der Örtlichkeiten des Geschehens die ebenfalls zeitgenössischen Pläne als

Unterlage benutzt. Anhand des Kupferstichs und ebensolchen Plänen konnte ich nun meinerseits Schanzen der Angreifer und Befestigungen der Verteidiger im Stadtwald erkunden. Sie sind auf farbigen Schautafeln mit Darstellungen und Text an Ort und Stelle gekennzeichnet. Außerdem wurde dazu ein Wanderplan mit Abbildungen gedruckt.

Als Beispiel für meine vergleichende topographischen Betrachtungen wähle ich ein Bauwerk, das noch steht und das man kennt, das Karlstor. Es wurde unter Kurfürst Karl Theodor von 1775 bis 1781 nach dem Entwurf und unter der Leitung von Nikolaus de Pigage erbaut. Zum inneren Ausbau des Tores sei folgendes gesagt: Die beiden Räumlichkeiten links und rechts der Toreinfahrt dienten der Torwache und der Abwicklung des Torzolls. Räume im Untergeschoß waren einmal Gefängnis, in dem auch Mitglieder der Hölzerlips-Bande eingekerkert waren. Auf dem Boden dieses Raumes befindet sich eine mit starken Eisenstäben vergitterte quadratische Öffnung. Unter dieser liegt ein Kanal, der Bergwasser aus dem Granit in den Neckar leitete. Auch heute sieht man es noch in der Tiefe blinken. Vielleicht war die Öffnung im Boden einmal die (äußerst zugige) Latrine. Das Gefängnis und der Bergwasserkanal liegen im Sockel des Tores, von dem heute nichts mehr zu sehen ist. Ich sage heute; das war jedoch nicht immer so. Das beweist eine Stadtansicht aus dem letzten Jahrhundert, wie sie dieser Abhandlung beigefügt ist. Das Bild ist ein Ausschnitt aus dem Panorama Heidelbergs entlang dem linken Neckarufer, dessen Maler nicht bekannt ist. Es entstand nach einer Zeichnung von Verhas und ist im Besitz des Kurpfälzischen Museums Heidelberg. Man blickt von Norden auf die Uferseite des Karlstors, so wie sie sich uns heute noch bietet. Nicht mehr sehen können wir heute den fast festungsartigen Unterbau des Tores. Der Sockel springt auf den schmalen Uferstreifen vor und hat die Form eines Pyramidenstumpfes. Im Innern birgt er die Räumlichkeiten, die ich zuvor beschrieben habe.

Die Pforte am Fuße des Torsockels führte das Bergwasser in dem genannten Kanal auif das Ufergelände. Von diesem führen Treppen hinauf, sowohl vor als auch hinter das Tor. Hier legten bei „Lustfahrten“ und „Jagdvergnügen“ die Schiffe an, welche die Gäste des Kurfürsten in das Tal und wieder zurück brachten. Dabei wurde ihnen am Tor ein großer Empfang bereitet. Zur Festigung des Torsockels und der Zufahrten zum Tor zieht stromaufwärts und -abwärts eine mächtige Kaimauer aus behauenen und profilierten Quadern. Die massive Anlage war der beste Schutz bei Hochwasser oder gar Eisgang. Über weitere Einzelheiten gibt ein Gemälde des Malers Vulcano im Heidelberger Kurpfälzischen Museum Aufschluß. Es schildert die Grundsteinlegung für das Tor mit großem Gepränge unter Anwesenheit des Kurfürsten nebst geistlichen und weltlichen Vertretern. Auf diese heute nicht mehr sichtbare Anlage wurde ich aufmerksam durch die Betrachtung weiterer Gemälde, Zeichnungen und Kupferstiche. Noch aber konnte archäologisch keine Beweisführung erbracht werden.

Im Jahre 1968 begann man, das Karlstor-Rondell, d.h. den Platz und die Umfahrung des Karlstors zu gestalten. Dabei wurde unter anderem in kurzer Entfernung vom Tor, zwischen Torsockel und Bundesstraße 37, eine Unterführung ausgehoben. Dadurch kam der obere Teil des Fundaments zu Tage, so daß eine schießschartenartige Öffnung, nämlich die Belüftung des Torgefängnisses zu erkennen war.

Als ehrenamtlicher Mitarbeiter der Stadtverwaltung (mit entsprechendem Dienstausweis) machte ich den Vorschlag, man möge die Unterführung so nahe an den Torsockel heranführen, daß dieser ein Stück weit sichtbar wird. Das war leider nicht möglich, da dort zahlreiche Versorgungsleitungen vorbeiführten, die alle hätten umgeleitet werden müssen. Als Erinnerung an die Kaimauer wurde aus einem ihrer Quader an der Ostseite der Anlage ein Gedenkstein mit Inschrift gesetzt. Die Verdrängung des Neckars vom Tor hat sich bei verschiedenen Vorgängen abgespielt. Da wurde zunächst, wie auf dem Bildausschnitt sichtbar, der Kanal zur Herrenmühle gefestigt und dadurch der Uferstreifen verbreitert. Einige Zeit danach beschloß man, an der Uferseite des Karlstors einen Umgehungsweg anzulegen. Dazu wurde eine Maßnahme notwendig, die das Gesamtbild des Torsockels einschließlich der Kaimauer optisch veränderte. Sie wurde zugeschüttet. Ich selbst habe in meiner Jugend diesen Weg benutzt, wenn wir baden gingen. Durch das Tor fuhr die elektrische Straßenbahn nach Schlierbach, wie zuvor auch die Pferdebahn. Die tiefgreifendste Veränderung brachte jedoch der Bau der Schleusen und der Ausbau der Bundesstraße 37, so daß heute der Neckar in mehr als 50 Meter Entfernung am Tor vorbeifließt.

Das Karlstor sollte damals die Krönung eines groß angelegten straßenbaulichen Unternehmens des Kurfürsten Karl Theodor sein. Er wollte Heidelberg talaufwärts über Schlierbach und Neckargemünd mit dem gut ausgebauten Straßennetz im Kraichgau verbinden. Das war bei dem Zustand des bisherigen Uferwegs unmöglich. Man kann das gut auf alten Plänen und Stadtansichten, z.B. bei Merian erkennen. Der Uferweg ist schmal und führt holperig zwischen den steilen Granitwänden und dem Fluß entlang. Deshalb ließ der Kurfürst Straßenbauer aus Italien kommen, während Bauern der Umgebung mit Pferdefuhrwerken das Schüttmaterial heranführten. Mit einer Inschrift dankte so manches Dorf dem Kurfürsten, daß es durch den Bau einer neuen Straße erschlossen worden war.

Aber auch die Hauptstraße selbst als Zufahrt zum Karlstor mußte erhöht und verbreitert werden. Die Erhöhung verlangte eine Stabilisierung gegen das Ufer. Sie bestand aus sogenannten Blindbogen, die zum Fluß offen, aber am Rand des erhöhten Straßenkörpers stabil geschlossen waren. Einige dieser Blindbogen kamen bei der genannten Gestaltung des Karlstor-Rondells zum Vorschein. Um einen freien und nicht durch Häuser eingeengten Blick auf das Tor zu ermöglichen, erwarb man Grundstücke beiderseits des Torzuganges. Das alles mußte vor der Erbauung des Tores geschehen. Die Verbreiterung und Planierung der Uferstraße taleinwärts bot auch eine Möglichkeit, dort Häuser zu bauen. Eines der schönsten war die Villa Prestinari. Als 1815 die Vertreter der „Heiligen Allianz“ gegen Napoleon, der Kaiser von Österreich und der Zar von Rußland sich in Heidelberg trafen, wohnte Zar Alexander als Gast eines englischen Lords in dieser Villa. Das Haus wurde in eine erneute Erhöhung der Landstraße einbezogen. Sein Eingang war über Treppen zu erreichen. Zwei Säulen links und rechts stützten einen über dem Eingang liegenden Balkon. Nach der Aufschüttung der Straße konnten die Treppen nicht mehr nach oben geführt werden, sondern nach unten. Dementsprechend „versanken“ auch die Säulen ein Stück nach unten. Das trug dazu bei, daß die Villa den Namen „Haus mit den versunkenen Säulen“ erhielt. Sie mußte dem Bau der Neckartalbahn weichen.

Der Ausbau dieser Bahnstrecke hat vieles verändert, auch in der Umgebung des Karlstors. Da entstand etwas abgesetzt vom Karlstor der verhältnismäßig kleine Bahnhof am Tunnel. Das war eine äußerst gefährliche Lage, bei der sogar einmal ein Stationsvorsteher ums Leben kam. Der zunehmende Eisenbahnverkehr erforderte einen größeren Bahnhof. Den setzte man vor das Tor, genau in die Talsicht.

Über die letzte, tiefgreifende Veränderung durch den Schleusenbau und die Bundesstraße 37 habe ich bereits berichtet. So wurde aus dem Tor ein „Denkmal“ mit zwei Bäumen vor den Seitenflügeln. Da Heidelberg zur Zeit der Erbauung des Karlstors eine unbefestigte, also offene Stadt war, konnte der Baumeister auf fortifikatorische Anlagen verzichten. Es bedurfte auch keines Anschlusses an eine Stadtmauer. Trotzdem war der Torbau nicht zu umgehen. Vom Berg herunter schloß sich ein Granitriegel dicht an das Tor an, und an der Uferseite fiel der Torsockel steil zum Ufervorland ab.

Zum Schluß möchte ich die Beurteilung des Karlstors aus der Feder von zwei Fachleuten anführen: Adolf Oechelhäuser schreibt in seinen „Kunstdenkmälern des Amtsbezirks Heidelberg“ über das Karlstor: „Ein in vornehmen klassizistischen Formen, durchaus in rotem Sandstein erstelltes Bauwerk.“ Karl Pfaff schreibt in seinem Buch „Heidelberg und Umgebung“ 1910: „Vom Karlstor ab engt das weit gegen den Fluß vorspringende Gebirge mit seinen zerklüfteten, schroff abstürzenden Granitmassen das Ufer mehr und mehr ein.“ Das Karlstor selbst beurteilt Pfaff so, daß es der östlichen Hauptstraße einen wirkungsvollen Abschluß verleiht.

Goethe schildert in seiner Schweizer Reise 1797, am Karlstor stehend, das er als „Neues Tor“ bezeichnet, einen Blick auf das jenseitige Ufer: „Hier hat die Lage und Gegend ...einen sehr natürlich schönen Anblick... Gegenüber sieht man die hohen, gut gebauten Weinberge in ihrer ganzen Ausdehnung; die kleinen Häuser darin machen mit ihren Lauben sehr artige Partien, und es sind einige, die als die schönsten malerischen Studien gelten könnten.“ Das Malerische bei einem Blick auf das Karlstor zeigt sich auch auf Bildern, wo z.B. Spaziergänger aus dem Tor kommend durch die schattigen Allee wandeln. - So war es einst.