Heidelberger Geschichtsverein e.V.

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Ludwig Merz: Heidelberg. Stadt am Fluß

Eine Frage, die man sich zur Zeit in Heidelberg stellt, ist die: Welche Möglichkeit gibt es, die Verbindung des Neckars mit der Altstadt hinsichtlich des Verkehrs günstiger zu gestalten? Dieses Thema hat mich veranlaßt, einmal rückblickend auf die Bedeutung des Flusses als Erwerbsquelle und die Wandlung seiner Ufer seit dreihundert Jahren zu untersuchen.

Die Brücke erschließt die Stadt

Beginnen möchte ich mit den Brücken als dem entscheidenden Faktor für die Stadtentwicklung. Soweit man aus Chroniken erfahren kann, hatte die heutige Alte Brücke neun Vorgängerinnen. Die erste fiel 1288 einem Hochwasser zum Opfer. Diese Art von Naturkatastrophen bereiteten auch weiteren Brücken ein Ende. Die ersten Abbildungen von Heidelberger Brücken finden wir bei Sebastian Münster um die Mitte des 16. Jahrhunderts, bei Matthäus Merian 1620 und bei Peter Friedrich de Walpergen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Die damaligen Brücken besaßen eine hölzerne Fahrbahn, waren durchgehend gedeckt und ruhten vermutlich alle auf steinernen Pfeilern. Die Brücke auf dem Kupferstich von Merian 1620 besaß drei Tore: Das doppeltürmige noch erhaltene, das Tor im Affenturm und das später hinzugefügte Tor an der Neuenheimer Seite der Brücke. Der Affenturm hatte seinen Namen von dem Affen über dem Tor. Das Tor auf der Neuenheimer Seite hieß Wappentor, weil es über seinem Eingang das Wappen von Friedrich V. und seiner englischen Gemahlin Elisabeth trug. Diese Brücke wurde im Orléansschen Erbfolgekrieg 1689 durch Feuer zerstört. Von da an hatte Heidelberg zwanzig Jahre lang keine Brücke. Der Verkehr über den Neckar wurde durch Schiffbrücken und Fähren fortgeführt. Endlich, im Jahre 1708/09 wurde die von Walpergen dargestellte hölzerne Brücke auf den alten Steinpfeilern errichtet. Das verheerende Hochwasser 1784 führte zu ihrer Zerstörung. Dickes Eis schob sich an den Eisbrechern hoch, ohne zu brechen, hob die Holzbrücke von den Steinpfeilern und führte sie stromabwärts. Unter Kurfürst Carl Theodor wurde die heutige Brücke erbaut und 1788 eingeweiht. Sie trägt sein Standbild und seinen Namen. Auf dem Pfeiler, der das Standbild der Athene trägt, stand zuvor der hl. Nepomuk, der jetzt die Anlage am Neuenheimer Ufer schmückt. Der Brückenbauer Obristleutnant von Mylius legte den mittleren Teil der Brücke höher als die Brückenköpfe, damit bei Eisgang keine Stauungen mehr auftreten konnten. Die spitzen Dächer der Brückentürme ersetzte er durch barocke Zwiebeldächer. Das Schicksal der Alten Brücke, ihre Sprengung und Wiederaufbau darf ich als bekannt voraussetzen.

Das Neckarufer im 17. Jahrhundert

Um zu veranschaulichen, in welcher Weise sich die beiden Ufer des Neckars im Laufe von mehr als dreihundert Jahren verändert haben, betrachten wir den Kupferstich des Chronisten Matthäus Merian aus dem Jahre 1620. Wir unternehmen eine Wanderung mit der Lupe und beobachten das Leben und Treiben an und auf dem Neckar. Beginnen wir am linken Bildrand, ungefähr da, wo heute das Karlstor steht. Da wird gerade vor der Herrenmühle ein Eselchen mit Mehlsäcken für die Schloßküche beladen. Dort liegt an der heutigen Jakobsgasse ein Adelshof mit Park, heute Palais Weimar. Am nordöstlichen Zwinger der Stadtbefestigung steht außerhalb der Mauer die an dem Turm erkenntliche Neckarmünze. Am Ufer haben Nachen angelegt, darunter auch ein "Neckarschlappen". Der Name ist auf die gewölbte Überdachung am Heck zurückzuführen. Eines der Boote wird an Land ausgebessert. Der Neckarmünzplatz ist von der Stadt aus durch das Leyertor am Ende der Leyergasse zu erreichen. Weiter am Ufer entlanggehend kommen wir zur Mönchsmühle vor dem Hof des Klosters Schönau. Die Zeile der Mühle reicht weit hinaus bis in die Flußmitte. Sie hat den Zweck, den Wasserdruck zu den Mühlrädern zu verstärken. Zwischen Mühle und Brücke erstreckt sich ein Lagerplatz. In dem sumpfigen Gelände der Pferdeschwemme quakten die Frösche, weshalb die Gegend "Froschau" hieß. Die Pferde werden durch das Tränktor geführt, woran heute eine Gedenktafel über dem Tor erinnert. An das Brückentor, dessen Türme damals Spitzhelme trugen, schließt sich das kurfürstliche Kornhaus an. Seine Fundamente sind unterhalb der Ufermauer durch eingelegte Steine erkenntlich. Oben auf der Mauer sitzt heute der bronzene Brückenaffe, der an die Spottfigur über dem Tor des ehemaligen Affenturms erinnern soll. Neben dem Kornhaus durch die Ufermauer führt in Verlängerung der Haspelgasse die Haspelpforte. Ihr Drehkreuz hatte den Zweck, das zum Schlachthaus geführte Vieh am Zugang zum Ufer zu hindern. Die Pforte ist durch einen Gedenkstein in der Ufermauer gekennzeichnet. Das wappengeschmückte Schlachthaus oberhalb der Brücke ist noch erhalten.

Zwischen Brücke und Stadtmühle, später Pfistermühle genannt, erstreckt sich ein ausgedehnter Holzlagerplatz. Er ist durch das Judentor zu erreichen, das am Ende der Judengasse liegt. Die letztere wurde 1832 auf Wunsch der Anwohner nach dem Gasthof "Zu den drei Königen", der oben auf der Hauptstraße lag, in Dreikönigstraße umbenannt.

Den Abschluß der Uferbefestigung der Kernaltstadt bilden zwei Wehrtürme. Der am Ufer liegende heißt Frauenturm oder Käfig. In diesem waren Frauen inhaftiert, die sich vorbeibenommen hatten. Sie verrichteten Arbeiten zum Nutzen der Stadt in einem durch ein Gitter (Käfig) abgeschlossenen Teil des Turmes. Nach der Zerstörung der Stadt wurde aus Trümmersteinen die heutige Heuscheuer aufgebaut, welche jetzt Hörsäle der Universität enthält.

Von dem Frauenturm am Ufer zieht bergwärts die Befestigung der Kernaltstadt. Ihre Schwerpunkte sind das Mitteltor und der Hexenturm bis hinauf zum Schloßberg mit dem Keltertor. Zwischen diesen beiden Toren führen heute die beiden Autotunnels hindurch. Dort hat man ein Stück der alten Stadtmauer restauriert. Zwischen der Mauer, die vom Frauenturm ausgeht, und dem Marstall liegt der Stadtgraben, der ehemals auch als Festplatz und zum Armbrustschießen benützt wurde. Der Teil des Grabens, der zwischen dem Mitteltor und dem Hexenturm lag, wurde bei der Stadterweiterung 1392 zugeschüttet.

An der Ufermauer des Zeughauses legt ein Schiff an, um seine Ladung zu verzollen. Wir umgehen den "Marstall" und kommen an den Krahnenplatz mit dem Schwenkkran, dessen Grundriß mit Steinen markiert ist. Ein Schiff hat angelegt und wird ent- oder beladen. Zwischen der Westseite des Marstalls und der bis zum Neckar auslaufenden Ziegelgasse erstreckt sich der Große Lauerplatz, auf den wir noch zu sprechen kommen. Hier haben mehrere Schiffe angelegt. Flöße bringen Stämme für den Holzlauer. Am oberen Ende des Lauers liegt der Holzhof, eine quadratische Anlage. Dahinter ist der Bauhof mit seinen drei Toren zu erkennen, von denen eines im ursprünglichen Mauerzug erhalten ist. Von der Mitte des Lauerplatzes stadtwärts erstreckt sich der prächtige Garten des Schönberger Hofes. Der Besitzer des Freihofes, Meinhard von Schönberg, hatte am kurfürstlichen Hof das Amt des Erziehers von Kurprinz Friedrich inne. Er wurde später auch Berater Friedrichs V. und bestärkte den Kurfürsten in dem Entschluß, die Königskrone von Böhmen anzunehmen. Durch das Anwesen zieht heute die Bienenstraße. Auf ihrer rechten Seite wurden Reste des ehemaligen Gebäudes gefunden, das auf dem Kupferstich oben mit dem Treppenturm an der Hauptstraße stehend zu sehen ist. Wir gehen an den Häusern, die sich an den Schönberger Garten anschließen, entlang bis zur Ziegelgasse. Dort steht abseits der übrigen Häuser die Ziegelhütte. Die Gasse führt breit auslaufend auf den Neckar zu. Da fährt ein Fuhrwerk, beladen mit dem Gut von dort liegenden Schiffen, hinauf in die Stadt. Zwischen Ziegelgasse und Brunnengasse liegt der Komplex des Dominikanerklosters mit einer Kirche. Man sieht die hohe und mit Pfeilern abgestützte Ufermauer, die heute noch sichtbar ist. Am Neckarende der Brunnengasse auf der Westseite des Klosters kann man ein großes und ein kleines Tor erkennen. Das große Tor liegt über dem tief liegenden Fahrweg, während man durch das kleine und höher liegende Tor als Fußgänger gehen kann. Die nächste Gasse ist das Neckargäßl. Es erhielt im 19. Jahrhundert die Bezeichnung Fahrtgasse, weil die Fähren dorthin verlegt worden waren.

Den Abschluß der Vorstadt bildet die westliche Stadtmauer. Diese erstreckt sich zwischen dem Roten, ziegelgedeckten Turm, dem Speyerer Tor und dem mit Schiefer gedeckten Blauen Turm.

Nehmen wir einmal an, diese von uns mit der Lupe durch die Stadtansicht von 1620 gemachte Wanderung habe Merian mit seinem Gesellen und Lehrling in Wirklichkeit gemacht. Er wollte den beiden zeigen, wie man in Stadtansichten Leben bringt. Dafür ist meist der Vordergrund geeignet. Günstig ist es bei Städten, die an einem Fluß liegen, wo Geschäftigkeit herrscht. Daß dieses Beleben des Stadtbildes bei Heidelberg vortrefflich gelungen ist, möge das Vorangegangene bewiesen haben.

Denken wir uns den Verlauf dieses Tages weiter aus: Die beiden Kameraden haben von ihrem Meister viel Wissenswertes und Lehrreiches gehört. Nun wollen sie sich auf einem Spaziergang am anderen Ufer, der Sonnenseite, erholen, und wir sind dazu eingeladen. Wir setzen in einem Fährboot über auf das Neuenheimer Ufer. Die "Näh", die wir gerade noch erreichen, wird vom Kloster Schönau betrieben, genau wie die genannte Mönchsmühle. Am Neuenheimer Ufer ausgestiegen, erblicken wir in halber Bergeshöhe die Sandsteinbrüche wie gegenüber. Wir konnten damals nicht ahnen, daß ein Jahrhundert später aus ihnen das Mannheimer Schloß erbaut würde. Auf Holzrutschen wurden die Rohlinge über die Weingärten und die Uferstraße hinweg direkt in die angelegten Lastschiffe verladen. - Auf halbem Wege erleben wir eine Überraschung: Angeführt von einem Vorreiter fährt an uns eine Kutsche mit drei Doppelgespannen vorbei. Aus den weißen Halskrausen schauen der Kurfürst Friedrich V. und seine Gemahlin Elisabeth heraus. Um dem Staub der Nachreiter zu entgehen, wenden wir uns bergwärts und fragen die dort arbeitenden Weingärtner, ob wir auf ihrem Weinbergpfad hinauf zu einem Ruheplatz kommen könnten, was uns freundlich gewährt wird. Es ist der Platz, an dem Merian auf seinem Kupferstich die Windrose eingezeichnet hat. Von hier aus überblicken wir jetzt das Leben und Treiben auf dem Neckar. Vor uns liegt eine Jacht vor Anker, auf welcher der Kurfürst mit seinen Gästen zu Lustfahrten ins Neckartal fährt. Daneben zieht ein Fischer sein Tauchnetz hoch. Stromabwärts treibt ein Floß, das vielleicht seine Stämme bis nach Holland in eine Schiffswerft fährt. Oberhalb der Brücke schwimmen Kähne. Einer ist mit Prügelholz beladen, mit Eberbacher "Schälklepperle". Warum sie so heißen? Die kurzen Stämme werden zunächst geschält, um den Gerbern die Rinde für ihre Lohe zu liefern. Die Prügel werden rasch trocken und hart, so daß sie beim Verladen klappern. Solche Hölzer brauchen hauptsächlich die Bäcker. Am Ufer oberhalb der Brückenkapelle wird ein Schiff auf dem Treidelpfad von einem Pferd, angetrieben durch den Treidler, flußaufwärts gezogen.

Zum Abschluß der Beobachtung eines Werktags im alten Heidelberg schauen wir hinüber zu den Bergen. Da steht das Schloß mit seinem Garten. An seiner Stützmauer wird gerade das Fundament für ein von Salomon de Caus erdachtes Lusthaus errichtet. Es sollte nie fertig werden. Die Fundamente wurden später als Schanze für die Schloßverteidigung ausgebaut. Im Klingenteich können wir am Hang des Gaisbergs durchs Fernrohr eine Schafherde mit Schäfer und Hund erkennen. Inzwischen ist es an unserem Ruheplätzchen kühl geworden. Auch die Weingärtner haben den Weinberg verlassen und wir gehen auf dem Schlangenwegel, wegen seiner Windungen so genannt, hinunter zur Uferstraße. Am Reitplatz vor der Brücke schauen wir kurze Zeit den Reitern zu. Wer hätte geglaubt, daß hier einmal eine Glockengießerei ihren Platz finden würde? Die Gießgruben wurden lange Zeit später beim Bau einer Villa gefunden. Wir kommen jetzt an den Brückenkopf, durchschreiten das Wappentor, das Tor des Affenturms und das Brückentor. Als wir durch die Haspelgasse die Heiliggeistkirche erreichen, sehen wir vor uns auf der Hauptstraße das Gasthaus zum Ritter mit seinem prächtigen Renaissancegiebel. Da wollen wir mit unseren neu gewonnenen Freunden hineingehen.

Einstmalige Lustbarkeiten auf dem Neckar

Eine der größten und auch teuersten Lustbarkeiten auf dem Neckar fand anläßlich der Hochzeitsfeier von Friedrich V. und Elisabeth statt. Es war ein Feuerwerk und Salutschießen oberhalb der Brücke, das in einem zeitgenössischen Kupferstich festgehalten ist. Auf Flößen waren Burgattrappen verankert. Von diesen wurden Raketen abgefeuert und sie wurden ihrerseits vom Ufer aus mit Raketen beschossen. Dazu knallten Soldaten von der Ostseite der Brücke mit ihren Büchsen ohne Kugeln. Am Berghang oberhalb der Hirschgasse stießen Hornisten in ihre Fanfaren. Das Schauspiel fand unterhalb des Schlosses in dessen Sichtweite statt. Von den Altanen sahen die Herrschaften zu, wie Schwärmer, Raketen, Leuchtkugeln und "Schlagende Wetter" durcheinander prasselten und den Neckar in einen einzigen Feuerstrom verwandelten. Um den Lärm aufs höchste zu steigern, waren in den Weinbergen am anderen Ufer Pauker und Trompeter aufgestellt, die ohne Unterlaß in das Knattern und Krachen des Feuerwerks hineinlärmten. An den folgenden Tagen fanden zahlreiche Aufführungen und Ballette statt. Bei einem allegorischen Maskenzug durch die Triumpfbögen in den Straßen war der ganze Olymp und das griechische Heldentum aufgeboten. In Schwetzingen fand eine große Jagd statt. Der Chronist schließt: "Als die letzten Gäste in ihre Heimat zurückgekehrt waren, hatte der Churfürst eine Rechnung von dreihunderttausend Gulden zu bezahlen. Die schöne Mitgift Elisabeths war dadurch zum großen Teil verschleudert." Aber auch das Volk amüsierte sich auf seine Weise. Auf dem Neckar fanden Fischerstechen statt, eine Art Turniere in Kähnen mit an dem Ende gepolsterten Stangen. Viel Spaß machte das "Gockelstechen". Auf Kähnen waren Gestelle aufgebaut, die in Schulterhöhe einen Käfig mit einer Schwenkklappe trugen. Im Käfig saß jeweils ein Hahn. Die Teilnehmer mußten beim Vorbeirudern mit einer Stange die Klappe aufstoßen. Flog der Hahn heraus, dann flatterte er als ungeschickter Flugvogel knapp über dem Wasser davon. Daß dabei mancher Fänger ins Wasser fiel, wurde mit allgemeinem Gelächter begleitet. Ein anderes Spiel war das "Worschtschnappe". An einer Angelrute ohne Haken hing eine Wurst. Der Angler stand in einem Kahn und die vorbeigeruderten "Schnapper" mußten die Wurst schnappen. Daß viele dabei durch die List des Anglers ins Wasser fielen, ist begreiflich. Beliebt waren in späterer Zeit die "Zeilenfeste". Sie hatten familiären Charakter und fanden auf den Zeileninseln beim Schein der Bootslaternen statt. Die Studenten trafen sich beim "Pfeilerschoppen" auf den Pfeilerinseln. Diese waren zum Schutz der Fundamente vor Unterspülungen aufgebaut. Als der Neckar noch nicht gestaut war, konnte man auf ihnen um die Pfeiler gehen. Das Bierfaß wurde zuweilen von der Brüstung der Brücke heruntergelassen.

Die Wandlungen der Neckarufer

Die erste große Veränderung des Ufers östlich der Stadt war bedingt durch den Bau des Karlstors 1781. Die flache und tieferliegende Uferstraße mußte zunächst angehoben und gefestigt werden. Dazu war eine Blindbogenmauer oberhalb der Herrenmühle notwendig. Vor allem mußte für den schweren Torbau ein fest auf dem Granit aufsitzendes Fundament in sieben Meter Tiefe ausgeschlagen werden. Der Fundamentbau hat die Form eines Pyramidenstumpfes. Er ist architektonisch stilvoll gestaltet. Für das vom Berg herabfließende Wasser führt er einen gemauerten Kanal, der durch eine Pforte verschlossen ist. Über dem Kanal liegt das Torgefängnis, das von innen zugänglich ist. Von einer niederen Schiffsanlege führte eine Treppe beiderseits des Sockels jeweils vor und hinter das Tor. Der Neckar floß also einmal dicht an der Kaimauer und dem Torsockel vorbei. Um das Karlstor umgehen zu können, wurde das ganze Vorgelände aufgeschüttet. Das Fundament und die Kaimauer konnte der Verfasser bei Tiefbauarbeiten um das Karlstor nachweisen, welches heute, bedingt durch den Schleusenbau, mehr als 50 Meter vom Neckar entfernt ist. Eine weitere Veränderung des östlichen Neckarufers brachte der Bau der Neckartalbahn 1862, deren erster Bahnhof dicht am Tunnelausgang lag. Den neuen Bahnhof hat man genau vor das Karlstor gesetzt.

Betrachten wir die Wandlungen der beiden Neckarufer weiter: Das Neuenheimer Ufer hat sich in weit geringerem Maße als das Altstadtufer verändert. Auch der alte Treidelpfad zum Ziehen der Schiffe mit Pferden stromaufwärts ist erhalten, zwar recht holperig. Man sieht auch die Stützbogen der Neuenheimer Landstraße. Oberhalb des Brückenkopfes liegt die Uferterrasse und an ihr steht die Figur des hl. Nepomuk. Er blickt hinüber zu dem Pfeiler der Brücke, auf dem er einmal stand, und wo jetzt das Standbild der Athene seinen Platz hat. Die Wandlung des linken Ufers ging jedoch weiter. Nach der Modernisierung der Herrenmühle floß ihr Kanal dicht an den Stützbögen des Gartens vom Palais Weimar, heute Völkerkundemuseum, vorbei. Den Neckarmünzplatz gab es noch nicht. - Der Schiffsverkehr war eine Haupterwerbsquelle auf dem Neckar. Um ihn stärker an Heidelberg zu binden, legte man im Jahre 1847 einen Winterhafen auf dem Bergheimer Gelände an. Er war jedoch in jeder Hinsicht eine Enttäuschung. Denn gerade jetzt ging durch die Zunahme des Eisenbahnverkehrs, insbesondere ins Neckartal, die Zahl der Schiffer zurück. Außerdem war der Hafen selbst eine Fehlkonstruktion. Wegen seiner schmalen Einfahrt war keine Durchspülung möglich, so daß er versumpfte und übel zu riechen begann. Bereits 1867 fing man an, ihn mit Schutt aufzufüllen, und nach zehn Jahren war er eben. Auf der Aufschüttung wurde der Bismarckgarten angelegt. Bei Ausschachtungen auf diesem Gelände in unserer Zeit stieß man auf die damaligen Aufschüttungen. Dabei konnte der Verfasser feststellen, daß eine der Schichten aus angeschlagenen Bierkrügen bestand, die von einer Gastwirtschaft stammten. Eine ganze Anzahl war nur wenig angeschlagen, was die Arbeiter bewog, sie zu säubern, mit dem Inhalt ihrer Bierflaschen zu füllen und als Andenken mitzunehmen.

Im Jahre 1877 war der Bau der zweiten Neckarbrücke, der Neuen Brücke, abgeschlossen. Später erhielt sie den Namen Friedrichsbrücke nach dem damaligen Großherzog von Baden. Es war eine Eisenkonstruktion und lag an der Stelle der heutigen Theodor-Heuss-Brücke. Auch sie wurde 1945 gesprengt und durch eine Holzbrücke, "Hölzerner Friedrich" genannt, ersetzt. Im Zusammenhang mit der Neuen Brücke begann man, von hier stromabwärts und stromaufwärts den Neckarstaden anzulegen. Zunächst begann man mit der Aufschüttung entlang dem heutigen Altklinikum, welche heute Schurmanstraße heißt. Man erreichte dann das alte Zementwerk, das an der Stelle der heutigen Lutherkirche lag. Das Turbinenhaus des ehemaligen Werkes dient heute der Rudergesellschaft als Klubhaus und liegt am Mühlkanal der ehemaligen Bergheimer Mühle, deren Gelände jetzt eingeebnet ist. Das Zementwerk brannte im Jahre 1895 ab und wurde nach Leimen verlegt. Die Errichtung des Iqbalufers brachte eine weitere Veränderung des Neckarufers mit sich.

Im Jahre 1881 waren die Arbeiten am unteren Neckarstaden beendet. Nun begann der schwierige Teil der Ufererweiterung mit der Anlage des oberen Neckarstaden, zunächst vor dem Marstall. Zur Veranschaulichung betrachte man die Stadtansicht von 1620. Da fließt der Neckar direkt an der Uferseite des Zeughauses vorbei. Im Jahre 1896 begannen die Aufschüttungen und waren 1897 beendet. Nach der Jahrhundertwende erfolgte von 1901 bis 1903 die Fortsetzung des Staden bis zur Neuen Brücke. Dabei war eine Verschiebung der alten Uferstraße um fünf Meter gegen den Fluß nötig. In einem Bericht über den Zustand des Neckarufers heißt es: "Der Weg am Ufer war noch seit 1870 der Ablagerungsplatz für verkäufliche und unverkäufliche Gegenstände." Soweit die Veränderung des Neckarufers an der Stadtseite durch den Ausbau des Neckarstaden. Aber auch große Veränderungen vollzogen sich seitlich des Staden auf dem Großen Lauerplatz.

Vom Holzlagerplatz zum Jubiläumsplatz

Zum Universitätsjubiläum 1886 galt es eine Festhalle zu bauen. Dafür gab es nur eine Möglichkeit innerhalb der Stadt, nämlich der Große Lauerplatz. Die Festhalle wurde ein Holzbau im Stil einer Basilika mit Mittelschiff und zwei Seitenschiffen. Den Eingang bildeten drei Tore und darüber zwei Seitentürme am Giebel. Die Festhalle war für den Besuch von 5000 Gästen vorgesehen. Der Teil des Holzlauers davor erhielt einen festen Belag. Einige Zeit nach dem Universitätsjubiläum wurde die nach den Plänen des Architekten Josef Durm erbaute Festhalle wieder abgebaut. Der Jubiläumsplatz behielt seinen Namen und wurde in unserer Zeit als Grünanlage mit Bänken und Wasserspiel hergerichtet. An der Stelle der Festhalle ließ die Stadt Heidelberg in den Jahren 1901-1903 die Stadthalle erbauen.

Weiter stromabwärts, unmittelbar an der damaligen Friedrichsbrücke, entstand in den Jahren 1891-1893 nach den Plänen von Josef Durm das Gebäude des heutigen Kurfürst-Friedrich-Gymnasiums. Es liegt an der Stelle einer Befestigung aus dem Jahre 1622, die sich an den ehemaligen Roten Turm anschloß, wie auf dem dortigen Gedenkstein zu lesen ist.

Die eingreifendste Veränderung des Flußlaufes und seiner Uferlandschaft brachte jedoch in den zwanziger Jahren der Ausbau des Neckars als Schiffahrtsstraße. Es entstanden die Wehre mit ihren Stauwalzen am Karlstor und bei Wieblingen. Weitere Veränderungen brachten in unserer Zeit der Ausbau des Iqbalufers im Stadtteil Bergheim und der Bau der Uferstraße B 37 am Altstadtufer.

Zu der genannten Schiffahrtstraße sei noch folgendes berichtet: 1920 hatte die deutsche Nationalversammlung beschlossen, mit dem Ausbau des Neckars von Mannheim bis Plochingen zu beginnen. Der Fluß war damals nur bis Laufen für die Schiffahrt mit dem Kettenschlepper eingerichtet. Im selben Jahr wurde die Neckarbaudirektion, heute Wasser- und Schiffahrtsdirektion Stuttgart, als Reichsbehörde gegründet. Die Erträge, welche durch die am Neckar zu errichtenden Wasserkraftwerke eingingen, sollten für den Bau der Schiffahrtsstraße verwendet werden. Am 1. Juni 1921 wurde zwischen dem Reich und den Neckaruferstaaten der Neckar-Donau-Staatsvertrag geschlossen.

Der Höhenunterschied zwischen der Mündung des Neckars in den Rhein und dem Ende der Wasserstraße bei Plochingen beläuft sich auf 160 Meter und entspricht damit der Höhe des Ulmer Münsters. Zur Überwindung dieses Höhenunterschieds sind auf der 202 km langen Flußstrecke 27 Staustufen errichtet worden. 1935 wurde die 113 km lange Neckarstrecke Mannheim-Heilbronn eröffnet. Der Anteil Heidelbergs besteht in zwei Stauwehren und einem Stück Kanal. Bei Wieblingen ist noch ein Stück Altneckar mit bewachsenen Inseln, seichten Wasserstellen und Tierwelt erhalten geblieben.

Jugendzeit am Neckar

Die Kinder, die am Neckar heranwuchsen, nennt man "Neggasume" oder "Neggaschleima". Woher kommen diese Namen? Sume (Samen) sind die kleinen, durchsichtigen Fischlein, die erst heranwachsen müssen, bis sie richtige Fische sind. Einen sicheren Unterschlupf in diesem Entwicklungsstadium fanden sie in den schleimigen Algenkolonien, die überall am Ufer wuchsen. Wenn man im offenen Neckar badete, klebte der grüne Schleim überall am Körper, daher der Name "Neckarschleimer". Das waren wir alle. Aber trotzdem bildeten sich in den Stadtteilen eigene "Kliken". Die Bezeichnung ist französischen Ursprungs und heißt dort clique = Sippschaft oder Bande.

Das Baden im offenen Neckar gehörte zu unseren Sommerfreuden. Ein beliebter Badeplatz war das Ufer vom Karlstor flußaufwärts. Das war auch das Revier der Plöckschüler, mit denen wir Realschüler von der Kettengasse oftmals stritten, meistens mit Worten und mit "Getue". An dem besagten Ufer wuchs ein dickstieliges Schilfrohr. Daraus flochten wir Schilfboote. Hose und Hemd mit dem Gürtel auf den Kopf geschnallt trieben wir auf den Binsenbooten heimwärts und landeten auf der Insel.

Die Binsenbootfahrer sollten natürlich alle schwimmen können. Einer konnte es jedoch nicht und rief laut: "Isch kann net schwimme!" Zum Glück war gerade der Fährmann unterwegs und holte ihn zurück auf das Inselufer. Vorher legte er ihn noch über die Bordwand und verabreichte ihm einen Denkzettel mit den Worten: "Morje gehsch niwwa zum alde Iwwerle unn lernsch schwimme!" Der alte Überle war der Bademeister im städtischen Freibad. Er schnallte den Schwimmschülern eine Korkweste um den Bauch, befestigte diese an einem Seil und einer Stange und gab dazu das Kommando: "EINS zwei drei, EINS zwei drei!" Ich selbst lernte die Schwimmbewegungen unter demselben Kommando zu Hause auf einem Schemel von meinem Vater.

Das zweite Stadium des Schwimmenlernens vollzog sich am Neckar, bei mir folgendermaßen: An der Friedrichsbrücke ging ich ein Stück am Bergheimer Ufer uferaufwärts. Dann schwamm ich schräg auf das untere Ende einer Pfeilerinsel. Auf dieser ging ich stromaufwärts und peilte die nächste Pfeilerinsel an. In diesem Zickzack erreichte ich endlich das Neuenheimer Ufer. Beim Zurückschwimmen nahmen mich zwei ältere, gute Schwimmer in ihre Obhut, und es ging alles gut.

Ich sprach zuvor von der "Klike" der Plöckschüler in der Altstadt. In Bergheim, also am Neckar, hatte die "Oll-oll" das Sagen. Den Namen bekamen sie, weil sie stets in Rudeln im Neckar schwammen und dazu händeschwingend "Oll-oll!" riefen. Mit diesen mußten wir vom "Musebrotviertel", entlang der Südseite der damaligen Eisenbahnlinie, uns gut stellen, wenn wir an den Neckar gingen. Woher der Name kommt? Viele Eisenbahner hatten Schrebergärten mit Obstbäumen. Deshalb kochten die Eisenbahnerfrauen, zu denen auch meine Mutter gehörte, die mannigfaltigsten Sorten Mus. Die Weststädtler meiner Generation verstanden sich gut mit den Bergheimern. Wir gingen gemeinsam in die Vangerowschule, heute Wilckensschule, weil die Landhausschule gleich zu Kriegsbeginn 1914 Lazarett wurde. Wir wurden auch gemeinsam konfirmiert, weil das Wohngebiet südlich der Bahnlinie zur Kirchengemeinde Bergheim, heute Luthergemeinde, gehörte.

Ich erwähnte bereits einmal die Insel, die vor der Bergheimer Mühle lag. Sie erstreckte sich längs gegenüber dem Ufer und hatte an ihrem breitesten Teil, von dem nur noch ein schmales Dreieck vorhanden ist, einen tiefen Baggersee mit Zu- und Abfluß des Neckars. Sein Wasser war immer wärmer als das des offenen Neckars, schmeckte leicht salzig und war nie zugefroren. Woher mag wohl der Salzgeschmack gekommen sein? - Im Jahre 1917 erzählte der Besitzer der Gastwirtschaft "Bergheimer Mühle" dem Geologieprofessor Salomon-Calvi, daß der tiefe Ziehbrunnen im Hof des Hauses zuweilen warmes und salzig schmeckendes Wasser liefert. Eine wissenschaftliche Untersuchung ergab, daß das Wasser radiumhaltig war, also eine Heilquelle. Daraufhin begann man, an der Stelle hinter dem späteren Radiumsolbad, Vangerowstraße 2, zu bohren. Im Jahre 1918 stieß man auf eine Quelle mit radiumhaltigem Wasser. Jetzt glaubte man, den Weg zum "Bad Heidelberg" gefunden zu haben, und man erbaute das Gebäude des "Radium Solbad Heidelberg". Die folgenden schlechten Zeiten machten alle Pläne zunichte.

Um wieder vom Salzsee zu sprechen: Aufgrund der Tiefe dieses Baggersees könnte vielleicht der Salzgeschmack von der Radiumsolquelle gekommen sein. - Die Insel blieb weiter unser Spielrevier für "Indianerles", "Räuberles", "Versteckerles" und anderen erdachten Spielen. Auch unsere selbstgebauten Segelschiffe ließen wir im See schwimmen. Ein ganz geschickter Kamerad baute sogar ein Bootchen, das von einem Gummimotor aus übereinander gedrehten Gummiringen angetrieben wurde. Auch im Handel befindliche U-Boote tauchten im Seewasser - und kamen nicht immer wieder hoch.

Ein besonders kräftesparendes Schwimmvergnügen für uns war es, zu den Beibooten der Lastschiffe zu schwimmen, einzusteigen und uns nach einiger Zeit wieder flußabwärts treiben zu lassen. Wir kümmerten uns nicht darum, daß der Schiffer schimpfte und mit der Stange drohte, wozu der Hund wütend bellte. Erreichen konnten uns ja beide nicht. Einmal verlief jedoch eine solche Bergfahrt in ungeahnter Weise. Wieder einmal kletterten wir in das Beiboot eines Lastschiffes. Diesmal schimpfte kein Schiffer, bellte kein Hund. Wir waren erstaunt über diese unerwartete Sinnesänderung. Als wir von dem Boot wieder zurück in die Fluten sprangen, stellten wir fest, daß unsere Vorderseite mit Teer von dem frisch gestrichenen Boot bedeckt war. Da Teer bekanntlich wasserabstoßend ist, bewies er diese Eigenschaft auch an unserer Haut. Die Stellen, die wir mit Gras "geriwwelt" hatten, waren rot. Als das meine Mutter bei der abendlichen Wäsche entdeckte, rief sie erschrocken dem Vater zu: "Lui, isch fürcht, der Bub hot Scharlach."

In den Pferdeschwemmen beiderseits des Neckars, den "Wasserschachteln", gab es viele Blutegel. Sie saugten sich an den Pferdebeinen fest, was an unseren Bubenbeinen noch leichter ging. Wir ließen sie ruhig sitzen und warteten, bis sie abfielen. An Land taten wir sie in ein mit Neckarwaser gefülltes Einmachglas und verkauften sie an Naturheiler.

Wenn rings in den Schrebergärten der Weststadt das Obst reifte, zogen wir aus zum "Stibitzen". Die Feldschützen waren jedoch auf der Hut, und mit ihren Hunden war nicht zu spaßen. Aus dem Kirschenparadies vertrieben, suchten wir "Kirschen in Nachbars Garten", das heißt in Neuenheim. Also nichts wie rüber mit den Binsenbooten, die wir auf unserer Insel im Dock hatten. Neuenheim hatte natürlich auch Feldhüter für sein Obstparadies, das heute längst überbaut ist. Ihre Hunde jagten sie unseren Piratenschiffen hinterher. Wir empfingen diese jedoch mit vollen Salven von Wasser, so daß sie jaulend ans Ufer zuückschwammen.

Eine besondere Anziehungskraft für uns hatte die Kette des Schleppers. Sie lag in einem schmalen Graben im Flußgrund und war der Gegenstand von Mutproben. In Begleitung zweier Schiedsrichter mußte man hinuntertauchen und die Kette ein Stückchen anheben. Einmal ging eine größere Gruppe zum Schwimmen. Sie waren alle geübte Turner. Es gelang ihnen, die Kette bis an die Wasseroberfläche anzuheben, worauf andere auf der gespannten Kette einen Handstand machten. Wenn wir Westädtler mit den Altstädtlern keinen Krach hatten, badeten wir am Hackteufel zwischen den Felsen. Einige von ihnen hatte besondere Namen, die sich aus ihrer Form ergaben. Da war zum Beispiel das "Kanapé", der "Tisch" mit seiner ebenen Oberfläche, der "Feuerfelsen", von Quarzadern durchzogen, auf denen man mit einem Stein Feuer schlagen konnte. Ein anderer hieß - seine Form brauche ich wohl nicht deutlicher zu erklären - "Arschbackenfelsen".

Bootchenfahren im Kajak war natürlich ein besonderes Vergnügen, dem aber unser Taschengeld Grenzen setzte. Da kam ein älterer Freund auf den Gedanken, selbst ein Boot zu bauen - das allerdings ein Floß wurde. Wir besorgten beim nahen Alteisenhändler vier Ofenrohre und acht Schornsteindeckel, die einmal zum Abdecken von Ofenrohrlöchern gedient hatten. Nachdem mein Freund die Rohre auf gleiche Länge gebracht hatte, verschloß er sie mit den Deckeln, die er dicht verlötete - wie er glaubte. Darauf montierten wir ein hölzernes Deck. In sicherer Nähe der Insel fand der Stapellauf statt, verfolgt von neugierigen Zuschauern. Nun ruderten wir hinaus in die offene See. Ich saß hinten und er als Steuermann vorne. Nach einiger Zeit wurde ich von unten naß und nässer. Besorgt rief ich nach vorn: "Willi, steier die Insel an, isch glaab mir sinke!" "A was," war seine Antwort, "des is da Welleschlag!" Dem war aber nicht so, und unter dem Gelächter der Zuschauer gingen wir an Land.

Vom Freibad, das frei von Eintritt war, und vom alten Überle habe ich schon berichtet. Er flitzte uns zuweilen eins über, wenn wir uns gar zu sehr als Randalen benahmen. Er verstand auch zu helfen, wenn mal einer zuviel Wasser geschluckt hatte. - Vom Damenbad nebenan weiß ich nichts zu berichten, dagegen von der Bootzschen Badeanstalt, die vor der Stadthalle lag. Dorthin ging ich, wenn ich einmal Besuch vom Bäschen hatte. Diese Badeanstalt nahm ein trauriges Ende: Im Mai 1931 führte der Neckar starkes Hochwasser. Die Badeanstalt war mit Stahlseilen am Ufer befestigt. Plötzlich riß eins davon, das Bad stellte sich quer zum Ufer, der Wassserdruck wurde stärker, riß das Bad ab, das nun frei im Neckar trieb. Es schwamm auf die Friedrichsbrücke zu und blieb quer an einem Brückenpfeiler hängen. Man befürchtete, daß der Druck den gerammten Pfeiler schädigen könnte. Als die Stauung immer stärker wurde, entschloß man sich zur Sprengung. Der Sprengmeister, der sie vornahm, bewies Mut und Verstand. Da ich zuvor die Felsen im Neckar erwähnt hatte, möchte ich dem noch folgendes hinzufügen: Wenn der Fluß einen niedrigeren Wasserstand hatte, konnte man gewissermaßen im Sonntagsanzug von Felsen zu Felsen springen, bis nahezu in die Flußmitte. Beim Baden oberhalb der Insel konnte man über die Römerfurt gehen. Lediglich der Schleppergraben mußte übersprungen werden. Bei Niedrigwasser tauchten auch beim Hackteufel solche Felsen auf, die sonst überflutet waren. Sie trugen Jahreszahlen von trockenen Jahren, und man nannte sie Hungerfelsen. In heißen Sommern war der Fischfang nicht ergiebig, weil sich die Fische am Flußgrund unter Steinen versteckten. Außerdem war die Ernte sehr schlecht und für das wenige Getreide, das herangereift war, bekamen die Mühlräder eine zu geringe Wasserzufuhr. Man mußte Schiffsmühlen aus Mannheim anfahren, die in der Mitte des Flusses verankert wurden, wo eine größere Strömung herrschte. Die Weinernte dagegen war in solchen Trockenjahren, wie in Chroniken vermerkt ist, oftmals gesegnet.

Wenn ich das Kapitel über Sommervergnügen am Neckar schließe, will ich nicht vergessen zu sagen, daß der Fluß auch manches Leid brachte, weil Leben in seinen Fluten endeten. Hierzu ein Beispiel aus meiner Jugend: Wir badeten oberhalb vom Karlstor, als ein Mädchen gerannt kam und rief: "Kummt schnell her, des Mariele is nimma zu sehe!" Wir suchten und tauchten vergeblich. Ich spüre heute noch das bange Gefühl, das ich hatte, als ich in das dunkle Grün der Algen hineintauchte und nicht wußte, was ich erblicken würde. Wir tauchten zu zweit und abwechselnd, der eine oben und der andere in der Tiefe, jedoch ohne Erfolg. Ein Fischer suchte mit und fand das Kind ganz dicht am Ufer. Seine Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos. Eine Zigeunerin von der nahen Zigeunersiedlung kam hinzu und sagte schluchzend: "Daran ist der böse Wassergeist, der Hookemann schuld."

Was ich jetzt schildern möchte, wird voraussichtlich nie mehr wiederkehren, nämlich die Vergnügungen auf dem tiefgefrorenen Neckar. Da herrschte ein frohes Leben und Treiben! Mit Schlitten und Schlittschuhen tummelte man sich, fiel hin, stand wieder auf, glitt auf der meterlangen "Glenne" entlang und purzelte den anderen vor die Beine. Ich erinnere mich, daß sich selbst Nonnen auf das Eis wagten. Wer keine Schlittschuhe mitgebracht hatte, konnte sich welche ausleihen. Zum Aufwärmen gab es heißen Tee, Glühwein, Würstchen, Brezeln und belegte Brötchen. Es wagte sich auch eine Gulaschkanone mit einem Kessel voll Erbsensuppe auf das Eis. Ausgegeben wurde sie in Militär-Eßgeschirren. Einmal wagte sich sogar ein Kleinauto auf das Eis, das die dünne Eisfläche am Ufer mittels ausgelegten Brettern überwunden hatte. Solche Bretterbrücken waren an verschiedenen Stellen gelegt worden. Die Fischer und Schiffer vergaßen auch nicht ihre Fische unter der dicken Eisschicht. Sie schlugen Atemlöcher in das Eis, die durch Strohwische auf Pfählen gekennzeichnet waren. Das Fischen an diesen für die Fische lebensnotwendigen Eislöchern war verboten.

Bei weniger kalten Wintern war immer noch die seichte Wasserschicht in der Schlittschuhbahn an der Uferstraße von Neuenheim gefroren. - Ein nicht ungefährliches Schauspiel war der Eisgang. Er mußte unterhalb der Brücken von Pionieren beschleunigt werden, damit der Abgang des Eises sich allmählich und nicht zu plötzlich vollzog. Wer kann sich heute vorstellen, wie nach Zündung der Sprengladung die Eis-Wasser-Fontänen meterhoch emporschossen?

Als Ausklang der Winterfreuden auf dem Neckar möchte ich noch eines unserer Fährleute gedenken. Er war ein Eisläufer, der alle Zuschauer begeisterte, von hoher Gestalt, schlank und braungebrannt. Ohne Finessen drehte er seine Kreise und Schleifen, man kann sagen, würdevoll. So wurde er von uns Buben bewundert und von den Mädchen angeschwärmt. Ich möchte auch an die Schiffer und Fährleute erinnern, die manches Leben aus den Fluten des Neckars gerettet haben.

Der Neckar meiner Jugendzeit ist nicht mehr der von heute. Aber er spendet uns immer noch Freude. Denken wir an die Paddler, die Segler, die "Weiße Flotte" mit ihren musikalischen Fahrten in das schöne Neckartal, und insbesondere an die Regatten auf dem Neckar. Vergessen wir nicht, einmal auf der Brücke zu stehen, um von den Pfeileraltanen aus das Leben auf einem Lastschiff zu beobachten: Der Kapitän winkt, seine Frau trocknet Wäsche, der Schiffshund läuft bellend bootauf bootab und das Kleinste spielt sicher in seinem Käfig.

Denken wir uns den Verlauf dieses Tages weiter aus: Die beiden Kameraden haben von ihrem Meister viel Wissenswertes und Lehrreiches gehört. Nun wollen sie sich auf einem Spaziergang am anderen Ufer, der Sonnenseite, erholen, und wir sind dazu eingeladen. Wir setzen in einem Fährboot über auf das Neuenheimer Ufer. Die "Näh", die wir gerade noch erreichen, wird vom Kloster Schönau betrieben, genau wie die genannte Mönchsmühle. Am Neuenheimer Ufer ausgestiegen, erblicken wir in halber Bergeshöhe die Sandsteinbrüche wie gegenüber. Wir konnten damals nicht ahnen, daß ein Jahrhundert später aus ihnen das Mannheimer Schloß erbaut würde. Auf Holzrutschen wurden die Rohlinge über die Weingärten und die Uferstraße hinweg direkt in die angelegten Lastschiffe verladen. - Auf halbem Wege erleben wir eine Überraschung: Angeführt von einem Vorreiter fährt an uns eine Kutsche mit drei Doppelgespannen vorbei. Aus den weißen Halskrausen schauen der Kurfürst Friedrich V. und seine Gemahlin Elisabeth heraus. Um dem Staub der Nachreiter zu entgehen, wenden wir uns bergwärts und fragen die dort arbeitenden Weingärtner, ob wir auf ihrem Weinbergpfad hinauf zu einem Ruheplatz kommen könnten, was uns freundlich gewährt wird. Es ist der Platz, an dem Merian auf seinem Kupferstich die Windrose eingezeichnet hat. Von hier aus überblicken wir jetzt das Leben und Treiben auf dem Neckar. Vor uns liegt eine Jacht vor Anker, auf welcher der Kurfürst mit seinen Gästen zu Lustfahrten ins Neckartal fährt. Daneben zieht ein Fischer sein Tauchnetz hoch. Stromabwärts treibt ein Floß, das vielleicht seine Stämme bis nach Holland in eine Schiffswerft fährt. Oberhalb der Brücke schwimmen Kähne. Einer ist mit Prügelholz beladen, mit Eberbacher "Schälklepperle". Warum sie so heißen? Die kurzen Stämme werden zunächst geschält, um den Gerbern die Rinde für ihre Lohe zu liefern. Die Prügel werden rasch trocken und hart, so daß sie beim Verladen klappern. Solche Hölzer brauchen hauptsächlich die Bäcker. Am Ufer oberhalb der Brückenkapelle wird ein Schiff auf dem Treidelpfad von einem Pferd, angetrieben durch den Treidler, flußaufwärts gezogen.

Zum Abschluß der Beobachtung eines Werktags im alten Heidelberg schauen wir hinüber zu den Bergen.