Heidelberger Geschichtsverein e.V.

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Ludwig Merz, Die “Anlage”

Diese Abhandlung sei meinem Schulweg gewidmet, der mich neun Jahre aus der Weststadt in die Oberrealschule in der Kettengasse führte. Diese „Anlage“ entstand auf folgende Weise.

An der Südseite der Stadt am Bergfuß zog einst, etwa entlang dem heutigen Gehweg, die Stadtmauer. Sie war unterbrochen durch zwei Tore, dem Schießtor und dem Kuhtor. Dieses führte hinauf zum Märzberg, der „Hochalm“, auf die im Monat März das Vieh getrieben wurde. Daher die Benennung „Märzgasse“. Als die Stadtmauer abgetragen wurde, erhielt man einen freien Zugang in den Wald. Es entstand so entlang dem Bergfuß die schönste Promenade Heidelbergs, die „Anlage“. Sie begann im Westen mit dem Seegarten. Die Seen erhielten ihren Zufluß vom Berghang, der mit Reben bepflanzt war, und an dem Bäume von Eßkastanien standen. Auf dem Platz wurden einst ritterliche Spiele abgehalten. Die Seegartenstraße erhielt von daher ihren Namen.

Aus meiner Kinderzeit habe ich noch einen dieser Seen in Erinnerung. In ihm saß seinen Dreizack schwingend der Wassergott Neptun. Er gab auch dem Garten seinen Namen „Neptungarten“. Er selbst wurde in die Tiefe der Unterführung versetzt und schwingt seinen Dreizack über einem bescheidenen Wasserbecken. Zu meiner Zeit hieß der Neptungarten „Kinderkarussell“, weil dort viele Kinderwägen, auch der meinige, die Runde drehten. In unserer Zeit erhielt der Platz dann den Namen Adenauerplatz. Jenseits der Gaisbergstraße liegt stadteinwärts der Stadtgarten.

Auf dem Boden, auf dem einst Festungswerke standen, dem Neptungarten und den Stadtgarten, wurde um 1830 von Gartendirektor Metzger ein landwirtschaftlicher Versuchsgarten angelegt. Ab 1885 wurde der Stadtgarten weiter ausgebaut mit Casinoräumen, heute Städtisches Verkehrsamt und Musikpavillon. An die Verdienste von Gartendirektor Metzger erinnert eine Gedenktafel an der Mauer rechts vom Aufgang zu den „Sieben Linden". In den ehemaligen Casinoräumen ist das Verkehrsamt. Entlang der Bergseite der Anlage standen einst Roßkastanienbäume.

Auch Denkmäler beiderseits der Anlage erinnerten an bemerkenswerte Persönlichkeiten:

Vor dem Stadtgarten stand auf einem Sockel die Büste des pfälzischen Mundartdichters Nadler in einer kleinen Anlage. Die auf diese Stelle mündende Straße heißt deshalb Nadlerstraße. Wird man gefragt, ob in dieser Straße der Nadler gewohnt hat, dann muß man leider antworten: „Nein, hier stand ein Denkmal für den Dichter, das man aus Unverstand an den Neckar auf den Krahnenplatz versetzte; wo es niemand findet.“ Ebenso verschwunden sind die Roßkastanienbäume entlang der Anlage. Angeblich waren sie eine Gefahr für den Autoverkehr im Hinblick auf die herabfallenden Früchte.

Stadteinwärts stand in der Anlage auf ansteigendem Gelände ein Bunsendenkmal in voller Größe und darüber. Von der Straße führte eine Treppe zu dem Denkmal. Zu deren beiden Selten lagen „männliche Steinfiguren“. Die auf der linken Seite war verhüllt, während die auf der rechten Seite sich aufrichtet, behindert durch eine Fesselung. Beide Figuren versinnbildlichen „die schlafende und die erwachende Wissenschaft". Der Standplatz mußte (?) einem Parkplatz weichen. Bunsen steht heute vor dem Anatomiegebäude gegenüber dem Gebäude, in dem er mit Kirchhoff gearbeitet hat.

Am Karlsplatz wohnte einmal die Familie Wrede. Aus ihr stammt der General Wrede, dessen Standbild an der linken Seite der Anlage errichtet wurde. Der dahinter liegende Platz erhielt deshalb den Namen „Wredeplatz“. Das bronzene Standbild wurde während des Krieges eingeschmolzen Sein schwerer Steinsockel wurde in das Erdreich des dahinter liegendend Platzes versenkt, wo er noch heute ruht.

Schwierig wurde es für die Anlage, als (1840) die Neckartalbahn eröffnet wurde mit dem Gaisberg- und Schloßbergtunnel. Für den Aufgang zum Schloß und ins Klingenteich mußte ein Bahnübergang gebaut werden. Das bedeutete, daß die Anlage etwa ab Schießtorstraße angehoben werden mußte . Das hatte zur Folge, daß der bergwärts ziehende Friedhof der Peterskirche mit in die Aufschüttung einbezogen wurde. Ein Maßstab ist die Höhe der Stützmauer hinter dem Kirchenschiff. Besonders schwierig wurde die Anlage des Bahndammes über dem Bergkeller der Weinfirma Fehser. Zur Begradigung des Bahndammes mußte über dem Keller Material abgetragen werden. Das durfte jedoch nur insoweit geschehen, als die natürliche Decke über dem Keller nicht zu schwach wurde. Diesem „Buckel“' mußten sich die Schienen anpassen. Das machte dem normalen Personen- und Güterverkehr nichts aus. Bei längeren schweren Güterzügen schaffte es jedoch die Zuglokomotive nicht mehr und es mußte eine Reservelokomotive für den Nachschub eingesetzt werden. Bei den Eisenbahnern, zu denen auch mein Vater als Lokomotivführer gehörte, hieß die Erhöhung das „Fehserbückele".

Zum Schluß eine Kindheitserinnerung : Wenn das „Bückele" überwunden war, fuhr die Nachschublok gemächlich wieder zurück zum Bahnhof. Das gab mir als Kind zuweilen die Möglichkeit, dem Vater auf der Nachschublok zuzuwinken. Wie es bei der Eisenbahn nötig ist, wußte der Vater ganz genau, wann er „Nachschub“ hatte.

Der Name der Anlage hat verschiedentlich gewechselt. Zunächst hieß sie Leopoldstraße, zu Ehren des damaligen Großherzogs von Baden. Nach der Großherzogin Sofie wurde dann die Sofienstraße benannt. Im Volksmund hieß die Leopoldstraße vor dem ersten Weltkrieg „Russenallee“. Der Grund war der, daß damals viele Russen der gehobenen Gesellschaft dort wohnten oder in Pensionen weilten. Schließlich erhielt sie den Namen Friedrich Eberts als einem Sohn Heidelbergs. Der „Wredeplatz“ heißt jetzt „Ebertplatz“, wie Wrede ein Sohn unserer Stadt. Für mich ist die Straße immer noch die „Anlage“.

Ergänzungen nach Zeitungsberichten

Die Anlage hieß zuvor „Pariser Weg“, weil auf diesem Weg französische Soldaten in den französischen Revolutionskriegen entlang der ehemaligen Stadtmauer in die Stadt eindrangen. Bis zum Jahre 1830 stand hier noch ein Schild „Pariser Straße“.

Im Jahre 1822 wurde bereits die Anlage der „Neuen Straße“ genehmigt, jedoch erst 1830 als „Neue Anlage“ vollendet. Die landschaftlichen und stilvollen gärtnerischen Anlagen nahm der bereits genannte Gartendirektor Metzger vor. Von dieser Neuen Anlage wird lobend berichtet: Die Eisenbahn ist nun eröffnet. Die Reisenden nehmen ihren Weg in die Stadt großenteils nicht durch die Hauptstraße, sondern durch die Neuen Anlagen. Leider wurde ein Teil des schattigen Lindenganges entfernt und wir erhielten dafür Bäume von Roßkastanien, die noch keinen Schatten spenden. Aber auch diese Kastanienbäume, die inzwischen Schatten spendeten, sind in unserer Zeit, angeblich aus Gründen des Verkehrs, abgehauen worden. In einem Lob für die Anlage heißt es. „Es ist hier sehr angenehm. Man denke nur, rechts und links und im schmalen Gang nichts als Weintrauben, die herunterhängen.“ So wurde 1808 berichtet.

Nach der Umbenennung des Neptungartens in „Adenauerplatz“ wurde darin ein riesiger Springbrunnen errichtet. Seine haushohe Wassersäule in Baumstärke schießt rauschend empor. Die Folge ist, daß ringsum zuviel Feuchtigkeit die Bäume belegt, so daß diese Schaden erleiden. Das dürfte wohl keineswegs im Sinne Adenauers sein.

NB: Eine Erinnerung meinerseits an die Eisenbahn hätte ich fast vergessen: An der Überführung der Straße in das Klingenteich war eine Schranke mit dem Einsatz eines Schrankenwärters. Dieser bediente auch für die Fußgänger zum Schloß eine schmale Schranke in Form eines Gittertürchen. Außerdem war an dieser Stelle ein Haltepunkt für Personenzüge, bevor diese durch den Schloßbergtunnel den Karlstorbahnhof erreichten. Wenn ich mich recht erinnere, so waren es nur ausgesuchte Züge, die an der „Haltestelle Peterskirche“ hielten.

Betr. Stadtmauer: Am oberen Teil der Anlage nach der Schießtorstraße konnte ich feststellen, daß Teile der Stadtmauer in die Kellerwände auf der Straßenseite einbezogen wurden. An Neubauplätzen stand die Stadtmauer noch vollständig und war durch eine Tafel gekennzeichnet.

Literatur:

Herbert Derwein: Die Straßen- und Flurnamen von Heidelberg, Karl Winter Verlag, Heidelberg 1940

Ludwig Merz, Kurzbio

Westliche Vorstadt um 1850 (Skizze von Ludwig Merz)