Die Handschuhsheimer Heiligen sind nicht einfach so vom Himmel gefallen ...

In der Handschuhsheimer Geschichtswerkstatt stellte am 31. Juli 2014 der Historiker Christian Burkhart sein neues Buch über die Kirchenheiligen der Schwesterdörfer Dossenheim (St. Pankratius) und Handschuhsheim (St. Vitus & St. Georg) vor, die im Mittelalter beide zur Herrschaft Schauenburg gehörten. Die 80 Seiten starke und mit 25 meist farbigen Abbildungen illustrierte Studie ist dem Andenken der zu Lebzeiten in der Handschuhsheimer Mühlingstraße wohnhaften, vor fünf Jahren verstorbenen Heidelberger Bibliothekarin und Historikerin Dr. Ursula Perkow (1944-2009) gewidmet, die an der Universitätsbibliothek Heidelberg u. a. als Fachreferentin für Mittlere und Neuere Geschichte tätig war.

Der Autor geht darin dem Zusammenhang zwischen Patrozinien- und Herrschaftswechsel im hohen Mittelalter an der südlichen Bergstraße nach. Dort wurde der zur Karolingerzeit populäre Lorscher Klosterheilige Nazarius (Fest: 12. Juni) später als Schutzpatron der Dossenheimer und Handschuhsheimer Pfarrkirchen durch St. Pankratius (Fest: 12. Mai) sowie durch St. Vitus (Fest: 15. Juni) und St. Georg (Fest: 23. April) ersetzt. Diese kamen in der Gestalt sogenannter „Ritterheiliger“ daher, die besonders beim Adel hohes Ansehen genossen. Offen war bislang aber wann und durch wen das geschehen ist, da die in der schriftlichen Überlieferung erst spät nachgewiesenen Heiligen ja nicht einfach so vom Himmel gefallen sind.

Den von früheren Bearbeitern vorgebrachten Spekulationen über eventuell mögliche Zusammenhänge zwischen dem hl. Pankratius, Kaiser Arnulf († 899) und Kloster Lorsch sowie zwischen dem hl. Vitus und Abt Arnold von Lorsch und Corvey († 1055) oder zwischen Handschuhsheim und Kloster Ellwangen an der Jagst, wo dieser Heilige ebenfalls verehrt wurde, und ebenso Mutmaßungen über die Einflussnahme von Kurmainz nach 1232 oder von Kurpfalz nach 1460 erteilt der Autor eine Absage.

Anstatt weiter im Nebel der lokalen und regionalen Historie herumzustochern oder/und nur ungeprüft Aussagen der älteren Literatur zu übernehmen, setzt er sich kritisch mit ihnen auseinander, konsultiert dazu auch die historischen Quellen und kommt dabei zu grundlegenden neuen Ergebnissen. So entlarvt er z. B. die seit Pfarrer Mühling, dem Verfasser der ersten Handschuhsheimer Ortsgeschichte von 1840, über mehrere Veröffentlichungen bis hin zur Website des Stadtteilvereins Handschuhsheim http://www.tiefburg.de/kerwe.htm im Jahr 2014 immer wieder kritiklos tradierte Legende, am 8. November 1053 – beim Stadtteilverein wird daraus 1057 – sei in Handschuhsheim die unter Abt Arnold von Lorsch neu erbaute Kirche geweiht und dieser Tag hernach über Jahrhunderte als Kirchweihtag gefeiert worden, als plumpen Übersetzungs- und Datierungsfehler! In Wahrheit war es der aus dem Elsass stammende römische Reformpapst Leo IX. († 1054), der eine neue Kirche weihte, aber nicht in dem Dorf Handschuhsheim, sondern im Kloster Lorsch und zwar während einer Deutschlandreise, nämlich am 25. Oktober 1052 die dortige sogenannte „bunte Kirche“. Über Handschuhsheim berichtet der Lorscher Klosterchronist lediglich, dass der damalige Lorscher Abt Arnold († 1055) hier ebenfalls ein Kirche habe errichten lassen. Auch von den Heiligen Vitus und Georg ist in diesem Zusammenhang nicht ansatzweise die Rede!

Für alle drei Heilige – Pankratius, Vitus und Georg – zeigt der Autor, dass sie für die im 11./12. Jahrhundert in Südwestdeutschland verbreitete Adelssippe der „Hessonen“ eine besondere Bedeutung hatten und von deren Angehörigen sehr verehrt wurden. Überall dort, wo diese am südlichen Oberrhein sowie am oberen und mittleren Neckar einflussreich und mächtig waren, etablierten sie besagte Heilige gerne als Schutzpatrone von Pfarrkirchen und Klöstern. Zu den „Hessonen“ zählten auch die Herren bzw. Grafen von Wolfsölden-Schauenburg, die 1130 aus dem mittleren Neckarraum an den unteren Neckar kamen, wo sie den Lorscher Klostervogt Berthold von Lindenfels mit Feuer und Schwert gewaltsam aus seinen Burgen vertrieben. Deshalb ist die durch zahlreiche akribisch recherchierte Belege untermauerte These des Autors, unter den bis etwa 1280 in Dossenheim und Handschuhsheim über Land und Leute herrschenden Schauenburgern seinen die „Familienheiligen“ der Sieger der Fehde von 1130 – Pankratius in Dossenheim sowie Vitus und Georg in Handschuhsheim – als neue Schutzpatrone der dortigen Pfarrkirchen etabliert worden, die bislang überzeugendste Erklärung für den an diesen beiden Orten zwischen Früh- und Spätmittelalter zu konstatierenden Patrozinienwechsel.

In Dossenheim wurde einer lateinischen Bauinschrift zufolge 1375 zwar noch der Grundstein des neuen Kirchturms am Namenstag des in der christlichen Kunst als Ritter mit Schwert dargestellten Kirchenpatrons Pankratius gelegt, doch besteht dort längst keine Verbindung mehr zwischen dem Fest des zu den Eisheiligen zählenden frühchristlichen Märtyrers (12. Mai) und der sogenannten „Brauchtumskerwe“ am dritten Sonntag im September. Während heute in Handschuhsheim die Erinnerung an den in der Epoche der Kreuzzüge besonders angesehenen, 1496 noch nachgewiesenen Konpatron, den gegen einen (den Unglauben symbolisierenden) Drachen kämpfenden Ritter St. Georg, ebenfalls längst verblasst ist, nimmt man es inzwischen auch mit dem Termin der traditionell am Festtag des Hauptpatrons orientierten „Hendsemer Kerwe“ nicht mehr ganz so genau. Sie sollte – wie zuletzt 1986, 1997 und 2008 geschehen – am Vitustag (15. Juni) stattfinden, wenn dieser auf einen Sonntag fällt, wenn er aber auf einen Werktag fällt, dann am Sonntag darauf. In den Jahren 1989 wurde die „Kerwe“ jedoch eine Woche zu früh, in den Jahren 2003 und 2014 jeweils eine Woche zu spät gefeiert. Ob hier die Ausnahme die (vom Stadtteilverein Handschuhsheim auf seiner Website http://www.tiefburg.de/kerwe.htm nur unvollständig und deshalb missverständlich wiedergegebene) alte Regel bestätigt, oder ob allmählich das traditionelle Band zwischen der „Hendsemer Kerwe“ und dem ihren eigentlichen Ursprung bildenden Kirchweihfest der Pfarrgemeinde St. Vitus brüchig wird, und sich die weltliche „Kerwe“ zu einem Straßenfest unter anderen entwickelt, wird die Zukunft zeigen.

Das Buch

Christian Burkhart,

Pankratius – Vitus – Georg.

Die Kirchenheiligen von Dossenheim und Handschuhsheim.

Patrozinien und Herrschaftswechsel an der südlichen Bergstraße im hohen Mittelalter,

Dossenheim 2014

kostet 12 Euro und ist bei folgenden beiden Buchhandlungen exklusiv erhältlich:

In Dossenheim bei der Buchhandlung Worring in der Hauptstraße http://www.worringohg.de und in Handschuhsheim bei der Bücherstube Kaiser-Götzmann an der Tiefburg http://www.buecherstube-handschuhsheim.de.