Heidelberger Geschichtsverein e.V.

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Bericht des Stadtdirektors Pfister über die Plünderung der Heidelberger Judengasse (25. August 1819)

(Generallandesarchiv Karlsruhe: 236/5505)

Schon seit einigen Tagen hatten Handwerkspursche und Jungen einzelnen Juden das bekannte Hepp! Hepp! nachgerufen. Man hatte sich, da dergleichen Rufung durch Verbote gewöhnlich nur noch vergrößert werden [sic], darauf beschränkt, die hiesigen Juden aufzufordern, nicht darauf zu achten; da dessen ohngeachtet das Rufen zunahm, so lies man gestern den Maurergesellen, welche bei Rath Rettig auf der Hauptstraße arbeiteten, und sich dessen schuldig machten, es untersagen, und sie zur nächsten Polizei-Sizung laden lassen [sic]. Heute morgen meldete Polizeiwachtmeister, daß der hiesige Müllermeister Bernauer gestern Abends im Rausch vor der Wohnung eines hiesigen Juden - Hepp Hepp! gerufen, und diesem zugleich verkündet habe, daß den 27. d.M. er mit allen hiesigen Juden Tod geschlagen werde, und daß hierauf der gedachte Bernauer arretirt, und auf das Rathhaus verbracht worden sei.

Der heutige festliche Tag war auch dahier bestimmt, würdig gefeiert zu werden, die hiesige Bürgerschaft hatte gestern ihre neue Kanonen von Mannheim erhalten, mit Ihnen wurde gestern Abend während dem festlichen Geläute das heutige Nahmensfest Seiner koeniglichen Hoheit des Grosherzogs angekündigt, und heute wurden dieselbe in feierlichem Zug durch das Bürger-Militair durch die Stadt geführt und vor dem Rathhause aufgestellt. Während dem das Bürger-Militair auf dem Marktplaze aufgestellt war, entwich der obgedachte Bernauer aus seinem Arreste. Ein Polizeidiener wollte ihn einholen, wurde aber von einigen Grenadiers daran verhindert, welche es übel aufnahmen, daß ein Bürger wegen einem Juden verhaftet seie. Die Sache hatte sich inzwischen bald beigelegt, und um die Feier des Tags nicht zu stören, und um die Gemüther einzelner nicht zu reizen, lies man den Bernauer zu Hause, und verschob die Untersuchung der Sache bis Morgen. Um alle Gelegenheit zu außergewöhnlichen Volksversammlungen abzuschneiden lies man unter polizeilichem Vorwand den zum Schluß des Tags bestimmt gewesenen Zapfenstreich mit Musik abstellen, und es schien überall Ruhe zu herrschen, doch hatte man mit dem Oberbürgermeister die geeignete Absprache genommen, um für den Fall, wo Exzessen entstehen sollten, diesen wehren zu koennen.

Gegen 9 Uhr diesen Abend zog ein Trupp Handwerkspursche und Strasenjungen vor die Wohnung des Juden Isaak Mayer, und fing dort Exzesse an. Kaum hatten sie angefangen, so vermehrte sich die Menge der Excedenten so sehr, daß in der ohnehin engen Straße die zur Abhilfe herbei eilenden nicht durchdringen konnten, und so kam es, daß das Haus Maiers, und nach diesem auch jene zweier andern Juden, Marx Hirsch und Samuel Carlebach, aufgebrochen, Fenster und [Fenster-] Kreuzstöcke eingerissen, Meubles zertrümmert, und Bettungen so zerissen wurden, daß die Federn wie Schnee auf der Straße liegen. Die Stürmenden waren mit Hebeisen und andern Instrumenten versehen, und die schwersten Steine flogen umher. Man ordnete Patrouillen an, und da die Akademiker sich erboten, zu Herstellung der Ruhe mitzuwirken, so nahm man dieses Erbieten an. Hierdurch, und beinahe einzig hierdurch ist es gelungen, der Zerstörungssucht des Pöbels Gränzen zu sezen, und diesen auseinander zu treiben. Mehrere der in den vorerwähnten Häusern ergriffenen Tumultuanten und ein Schreinergesell, welcher mit einem geraubten Stück Bett auf der Straße ertappt wurde, sind arretirt.

So stande es um halb 10 Uhr, und jezt um 10 Uhr ist es noch ruhig. Die Studenten patrouillieren mit den Bürger [sic], und man hat alle Vorkehr getroffen, um die Ruhe für diese Nacht zu sichern, und einer etwaigen Befreiung der Verhafteten vorzubeugen. Da inzwischen aber durch das Ruhestiften neuer Haß der Tumultuanten sowohl gegen die Juden, als gegen die Ruhestifter selbst erzeugt worden ist, so kann nicht abgesehen werden, welche Folgen annoch zu befürchten sind. Nur die kräftigsten Maasreglen scheinen sie verhindern zu können. Ob jezt schon dazu geschritten, oder ob vor der Hand das erforderliche Militair blos zur Bereithaltung aufgeboten werden wolle, unterstellt man dem Ermessen grosherzogl. Kreisdirectoriums. Man wird von jedem weitern Ereignis gleich die weitere gehorsamste Anzeige erstatten. - Gut dürfte es auf jeden Fall sein, wenn wenigstens das grosherzogliche Dragoner-Comando in Schwezingen sogleich die Ordre erhielte, auf diesseitiges Ersuchen alsbald die erforderliche Mannschaft hieher zu detaschiren.

Heidelberg, den 25ten August 1819                                                                                       Pfister

P.S.: Man hat Abschrift dieses Berichts an das grosh. Staats-Ministerium per Estafette vorgelegt.


Ein behördenkritischer Zeitungsbericht über den Heidelberger „Judensturm“

(Neue Speyerer Zeitung, Nr. 103 vom 28. August 1819)

Heidelberg, den 26. August. Nachdem schon seit mehreren Wochen das bekannte Losungswort Hepp, Hepp durch alle Straßen tönte, wurde vorgestern sogar ein Judenmädchen von einem Bürger insultirt, dieser deswegen arretirt, aber gestern von dem Bürgermilitair, das bey Gelegenheit des festl. Ludwigs-Tages musizirend durch die Stadt zog, eigenmächtig wieder befreyt. Zugleich erscholl den ganzen Tag hindurch die von den Juden größtentheils für ein Mährchen erachtete Nachricht, eines auf die Nacht verabredeten Juden-Lärms. Aber zwischen 7 und 8 Uhr Abends zogen Schaaren von Heppmännern gegen die Judenwohnungen, durchbrachen mit Aexten, Brecheisen und ähnlichen subtilen Instrumenten bewaffnet, an mehreren derselben die Fenster, Läden und Thüren, und drangen so, da sie zu dieser Operation fast drey Stunden lang vollkommen Muße hatten, in die Häuser selbst, wo sie alles, was sie vorfanden, plünderten oder zerschlugen, alles in verschlossenen Pulten vorräthige Geld raubten, Papiere zerrissen, Betten zerschnitten und eine solche Zerstörung anrichteten, daß fast die ganze Straße von Bettfedern, Trümmern der Möbeln und dergl. gefüllt war. Keine verhindernde Maaßregel von Seiten der Polizey oder der noch dazu grade bewaffneten Bürgergarde war bis nach gestilltem Lärm im entferntesten zu sehen und so hätten denn sicher alle jüdischen Häuser ein gleiches Schicksal tragen müssen, wäre nicht plötzlich, als bereits drey ausgeplündert und bey einem vierten der Versuch gemacht worden, eine ungewöhnliche Hülfe gekommen. Die Studierenden der hiesigen Universität waren es nämlich, welche bewaffnet mit Hiebern, Säbeln oder Rapieren, die Räuber augenblicklich zerstreuten, diejenigen, deren sie habhaft werden konnten, der städtischen Behörde überlieferten, und so die Juden vor fernerer Mißhandlung, die Bürger vor größerer Schande, den Magistrat vor höherer Verantwortlichkeit sicher stellten. Diesen edlen Sinn noch durch lobenden Commentar herauszustellen, wäre überflüssig, zumal da es diejenigen nicht daran fehlen lassen werden, die diesen Exzessen mit stiller Freude zusahen, oder sie durch jahrelange Machination hervorgebracht haben. „Nur Pöbel und Straßenjungen“ waren die Thäter, wird man hier wieder wie anderwärts sagen. Aber es bleibt doch immer räthselhaft, was in so vielen Städten gerade die Gassenjungen allarmirte!!? Indessen werden wenigstens hier über 200 Studenten das Zeugniß ablegen, daß es nicht Straßenjungen waren, die ihnen mit Unwillen darüber Vorwürfe machten, daß sie sich um fremde Angelegenheiten zu kümmern, und die Ruhestörer zu arretiren wagten! - Aber freylich, wenn Professoren dem Volke Ausrottung des „Judenthums“ predigen, so hatten sie nicht darauf gerechnet, daß die Gassenbuben so unlogische Köpfe seyen, darunter „die Juden“ selbst zu verstehen, und wenn Flugschriften und Zeitungen täglich den Judenhaß anfachen, so hat ja von Aristoteles an bis Fries noch Niemand einen solchen Fehlschluß begangen, daß er sich deshalb zur Judenplünderung befugt gehalten! Sapienti sat. - Heute Morgen nahmen Aktuare den verursachten Schaden auf, die Zeit und auch diese Zeitung soll es verkünden, ob und wie weit den unglücklichen, zum Theil auch gänzlich verarmten Opfern Gerechtigkeit werde.


Aus dem Bericht des Kreisdirektors Siegel über die in Heidelberg ergriffenen Maßnahmen (27. August 1819)

(Generallandesarchiv Karlsruhe: 236/5505)

Bericht des Stadtdirector Pfister zu Heidelberg vom Gestrigen, in Anbetreff der Bestürmung dreier Judenhäuser.

Beschluß:

Hochpreißlichem Ministerium des Innern ist näher zu berichten.

Nach obigem Berichte hat der Stadtdirector Pfister nach den in der Nacht vom 24. d. vorgegangenen tumultuarischen Auftritten den StadtMagistrat, die Viertel und Zunftmstr. sodann die Officiers der bürgerlichen Compagnie versammelt, und mit ihnen die erforderlichen Masregeln zur Handhabung der öffentlichen Ruhe verabredet, und ergriffen, zugleich auch an die Heidelberger Einwohnerschaft das in Abschrift hier anliegende Aufrufen erlassen und die in den Judenhäusern begangenen Beschädigungen aufnehmen lassen, wo nach solche

bei Samuel Carlebach 2237fl, 12x

bei Hirsch Marx 2598fl, 48x

bei dem Juden Herz Carlebach 827fl, 30x

bei Isaac Mayer 10fl

bei Salomon Mayer 8fl

bei Mendel Abenheimer 7fl, 36x

Summa 5686fl, 6x [sic]

betragen, und woraus hervorgeht, daß nebst den tumultuarischen Auftritten auch förmliche Plünderungen verübt worden sind.

[...]

Übrigens war es Unterzeichnetem sehr auffallend, daß von etlichen hundert Aufrührern und Plünderern nur fünf Heidelberger Bürgerssöhne, und vier ausländische Handwerkspursche arretirt, erstere auch bereits wieder entlassen wurden. - Überhaupt scheint die so nötige und schleunige Untersuchung dieser schreienden Handlung nicht mit dem gehörigen Eifer und Nachdruck gepflogen zu werden, und hat man ehe desfalls mit dem Großherzoglichen Hofgericht, wohin die Untersuchung und Aburtheilung dieser peinlichen Sache gehört, in Communikation getreten wird, die Absendung eines KreisRathes zur vorläufigen General-Untersuchung beschlossen, da Stadtdirector Pfister den Wunsch geäussert hat, wegen vielen anderen unverschieblichen Geschäften von dieser Untersuchung dispensiert zu werden.

aus: Jacob Katz, Die Hep-Hep-Verfolgungen des Jahres 1819 (Dokumente, Texte, Materialien, Veröffentlicht vom Zentrum für Antisemitismusforschung Berlin, Bd. 8) Berlin 1994, S. 115-110